I. Definition marktfähiger Steuergestaltungen (Abs. 1)
"(1) Eine grenzüberschreitende Steuergestaltung ist marktfähig, wenn sie konzipiert wird, vermarktet wird, umsetzungsbereit ist oder zur Umsetzung bereitgestellt wird, ohne dass sie individuell angepasst werden muss."
Rz. 2
Keine individuelle Anpassung. § 138h Abs. 1 AO definiert mit der sog. marktfähigen grenzüberschreitenden Steuergestaltung eine besondere Kategorie grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Da insoweit ("grenzüberschreitende [...] Steuergestaltung") auf die Begrifflichkeiten des § 138d Abs. 2 AO zurückgegriffen wird, gelten die dort kodifizierten Voraussetzungen auch für die marktfähigen Gestaltungen (s. § 138d AO Rz. 31 ff.). Nach dem Gesetzeswortlaut tritt als weitere Voraussetzung einer marktfähigen Gestaltung das Erfordernis hinzu, dass sie keiner individuellen Anpassung bedarf, um (für einen weiteren Nutzer) konzipiert oder vermarktet zu werden, umsetzungsbereit zu sein oder zur Umsetzung bereitgestellt zu werden. Das Gegenstück zur marktfähigen Gestaltung ist nach den Vorgaben der EU-Richtlinie die maßgeschneiderte Gestaltung.
Konkrete Hinweise dazu, was unter einer individuellen Anpassung zu verstehen ist, enthält die Gesetzesbegründung nicht. Unklar ist insbesondere, inwieweit darin ein subjektives Element im Hinblick auf den Intermediär enthalten ist. So könnte die Frage nach einer individuellen Anpassung von der Erfahrung und Professionalität des jeweiligen Intermediärs abhängen. Während bspw. dem unerfahrenen Berater jede Gestaltung hochgradig individuell erscheinen mag, verfügt der erfahrene Spezialist über ausgefeilte Vertragsmuster und Checklisten, die ihm auch besondere Fälle vergleichsweise standardisiert erscheinen lassen. Eine solche subjektive, "intermediärsbezogene" Auslegung der Norm ist abzulehnen. Denn aus dem Gesetzeswortlaut wie auch der Gesetzesbegründung geht klar hervor, dass sich die individuelle Anpassung allein auf den (potentiellen) Nutzer der Gestaltung bezieht. Damit kann es nur darauf ankommen, ob die Gestaltung nach objektiven Maßstäben einer nutzerindividuellen Modifikation unterliegt. Sobald mehr erforderlich ist als ein bloßes Einsetzen von Namen und Beträgen, sollte grundsätzlich eine individuelle, d.h. nicht marktfähige Gestaltung vorliegen. Welche Anpassungen für die Annahme einer marktfähigen Gestaltung unschädlich sind, sollte sich aus den jeweils zu aktualisierenden Angaben nach § 138h Abs. 2 Satz 1 AO ergeben. Demnach kann das Vorliegen eines anderen Intermediärs, Nutzers oder einer beteiligten Person (als verbundenes Unternehmen des Nutzers), eine weitere Umsetzung (d.h. ein weiteres Umsetzungsdatum), weitere betroffene EU-Mitgliedstaaten oder weitere betroffene Personen nicht (zwingend) zur Annahme einer individuellen Gestaltung führen. Jedenfalls sobald die Mitteilung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung abweichende Angaben im Hinblick auf die Einzelheiten zu den zur Mitteilung verpflichtenden Kennzeichen (§ 138f Abs. 3 Nr. 4 AO), die inhaltliche Zusammenfassung (§ 138f Abs. 3 Nr. 5 AO) sowie die einschlägigen Rechtsvorschriften (§ 138f Abs. 3 Nr. 7 AO) erfordert, scheidet eine marktfähige Steuergestaltung damit zwangsläufig aus. Auch wenn § 138h Abs. 2 AO keine Aktualisierung hinsichtlich der Angabe nach § 138f Abs. 3 Nr. 8 AO (wirtschaftlicher Wert der grenzüberschreitenden Steuergestaltung) verlangt, sollte eine diesbezügliche Änderung nicht dazu geeignet sein, die Annahme einer marktfähigen Gestaltung zu widerlegen. Aus dem Vorstehenden ist jedoch nicht der Umkehrschluss zulässig, dass jede Mitteilung mit gleichen Angaben hinsichtlich § 138f Abs. 3 Nr. 1, 2, 6, 9 und 10 AO eine markfähige Steuergestaltung betreffen muss. Hinzutreten muss vielmehr die Voraussetzung des § 138h Abs. 1 AO, wonach eine individuelle Anpassung verzichtbar sein muss (s.o.).
Rz. 3– 10
frei
II. Verhältnis zu Steuergestaltungen i.S.d. § 138e Abs. 1 Nr. 2 AO
Rz. 11
Engeres Verständnis der individuellen Anpassung. Der Wortlaut der Definition marktfähiger Gestaltungen erinnert an das Kennzeichen gem. § 138e Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn während hier eine Gestaltung "ohne dass sie individuell angepasst werden muss" vorliegen muss, ist dort tatbestandlich, dass die Gestaltung nicht "für die Nutzung wesentlich individuell angepasst werden muss". Der Gesetzesbegründung ist aber insoweit keine Aussage zu entnehmen, in welchem Verhältnis diese beiden Normen bzw. Definitionen zueinanderstehen. Dies gilt auch für die zugrunde liegende EU-Richtlinie, die nahezu wortgleiche Formulierungen verwendet. Eine wortlautbasierte Auslegung legt jeden...