(2)  Handelt es sich bei einem ständigen Vertreter um ein rechtlich selbständiges Unternehmen mit eigenem Personal im Sinne des § 2 Absatz 4, so sind für die sinngemäße Anwendung nach Absatz 1 abweichend von § 2 Absatz 3 alle Personalfunktionen, die vom Personal des ständigen Vertreters für den Vertretenen ausgeübt werden, als eigene Personalfunktionen des Vertretenen zu behandeln.

 

Rz. 3818

[Autor/Stand] Rechtlich selbständiges Unternehmen. Ist ein rechtlich selbständiges Unternehmen (nachfolgend: Vertreter) als ständiger Vertreter für eine nahestehende Person tätig bzw. begründet eine Vertreterbetriebsstätte, so werden im Regelfall in der Vertreterbetriebsstätte Personalfunktionen vom Personal des Vertreters für das vertretene Unternehmen ausgeübt. Dies ist z.B. der Fall, wenn Personal einer ausländischen Tochtergesellschaft Aufträge an die deutsche Muttergesellschaft vermittelt. In dieser Konstellation könnten dem vertretenen Unternehmen (d.h. der Muttergesellschaft) mangels Ausübung von Personalfunktionen durch eigenes Personal im Ausland nach den §§ 5 ff. BsGaV weder Vermögenswerte noch Chancen und Risiken noch Geschäftsvorfälle zugeordnet werden (Anm. 3021 ff.). Damit könnten für das vertretene Unternehmen keine Einkünfte entstehen.[2] Vor diesem Hintergrund sieht § 39 Abs. 2 BsGaV vor, dass abweichend von § 2 Abs. 4 BsGaV alle Personalfunktionen, die vom Personal des Vertreters für das vertretene Unternehmen ausgeübt werden, als eigene Personalfunktionen des vertretenen Unternehmens zu qualifizieren sind. Diese Fiktion gilt allerdings nur dann, wenn es sich bei dem ständigen Vertreter um ein rechtlich selbständiges Unternehmen mit eigenem Personal handelt. Da § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ausdrücklich auf das Personal des Unternehmens abstellt, wird zutreffend kritisiert, dass diese Regelung über die Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 6 hinausgeht, indem Personal einer Betriebsstätte zugeordnet wird, das nicht als "eigenes Personal" des vertretenen Unternehmens gilt.[3] Zudem steht § 39 Abs. 2 BsGaV im Widerspruch zu der Zuordnung von Geschäftsvorfällen gem. § 9 Abs. 1 BsGaV, wonach die Zuordnung nach Maßgabe der Personalfunktion erfolgt, die für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls ausschlaggebend ist. Mangels Personal können mithin der Vertreterbetriebsstätte keine Geschäftsvorfälle gem. § 9 Abs. 1 BsGaV zugeordnet werden.[4] Infolgedessen können der Vertreterbetriebsstätte keine Umsatzerlöse aus externen Geschäftsvorfällen zugeordnet werden.

 

Rz. 3819

[Autor/Stand] Nullsummen-Theorie. Aufgrund der Nutzung von Personal des Vertreters werden nach Auffassung der Finanzverwaltung die der Vertreterbetriebsstätte des vertretenen Unternehmens zugeordneten Erträge vollständig an den Vertreter weitergegeben. Dementsprechend enthält die Hilfs- und Nebenrechnung der Vertreterbetriebsstätte als fiktiven Ertrag eine fremdübliche Vertreterprovision für die Vermittlung von Geschäften an das übrige Unternehmen und als fiktiven Aufwand die dem Vertreter zuzuordnende Provision in derselben Höhe (sog. "Nullsummen-Theorie"). Im Ergebnis heben sich Gewinn und Aufwendungen der Vertreterbetriebsstätte auf.[6] Die Anwendung der Nullsummen-Theorie lässt sich wie folgt veranschaulichen:

 

Beispiel

Die niederländische T-BV ist als Vertriebsgesellschaft des deutschen Maschinenbauers, der M-GmbH, tätig und verkauft Maschinen an lokale Kunden in den Niederlanden im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Zugleich vermittelt die T-BV Kundenaufträge an die M-GmbH und begründet insoweit eine Vertreterbetriebsstätte der M-GmbH. In der Vertreterbetriebsstätte ist kein eigenes Personal der M-GmbH tätig.

 

Lösung

Die T-BV begründet einen ständigen Vertreter (§ 13 AO) bzw. eine abkommensrechtliche Vertreterbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 5 DBA-Niederlande) der M-GmbH. Da in dieser Vertreterbetriebsstätte mangels Personal der M-GmbH keine Personalfunktionen der M-GmbH ausgeübt werden, können der Vertreterbetriebsstätte nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 5 ff. BsGaV) keine Vermögenswerte, Chancen oder Risiken zugeordnet werden. Nach § 39 Abs. 2 BsGaV sind aber alle Personalfunktionen, die vom Personal des Vertreters (hier: T-BV) für das vertretene Unternehmen (hier: M-GmbH) ausgeübt werden, als eigene Personalfunktionen des vertretenen Unternehmens zu behandeln. Dementsprechend sind nach § 39 Abs. 2 BsGaV alle Vermögenswerte und Passivposten, Chancen und Risiken, die die T-BV im Rahmen ihrer Vertretertätigkeit einsetzt bzw. trägt, zunächst der Vertreterbetriebsstätte der M-GmbH zuzuordnen. Nach der Nullsummen-Theorie steht allerdings das Ergebnis der Vertreterbetriebsstätte in vollem Umfang dem Vertreter (T-BV) zu, so dass für die Vertreterbetriebsstätte kein Gewinn verbleibt.

 

Rz. 3820

[Autor/Stand] Zuordnung einer Risikoprämie. Die Finanzverwaltung lässt eine Ausnahme von der Nullsummen-Theorie für den Fall zu, dass Personal des rechtlich selbständigen Vertreters Risiken verwaltet, die zivilrechtlich allein das vertretene Unternehmen treffen. In die...

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