Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
aa) Allgemeines
Rz. 344
Systematik. Es stellt sich die Frage, ob neben den aus § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG abzuleitenden (Negativ-)Anforderungen noch weitere Kriterien erfüllt werden müssen, damit eine Tätigkeit als Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG qualifiziert. Diese Frage hängt mit derjenigen zusammen, ob Nr. 2 Halbs. 2 die Voraussetzungen für die Annahme einer Wirtschaftstätigkeit abschließend definiert und daher im Wege eines Umkehrschlusses gefolgert werden kann, dass eine Wirtschaftstätigkeit stets vorliegt, wenn die Voraussetzungen der Nr. 2 Halbs. 2 nicht vorliegen (vgl. Rz. 248). Wie zu zeigen sein wird, legt Nr. 2 Halbs. 2 – insbesondere aus unionsrechtlicher Sicht – abschließend die Voraussetzungen dar, die für eine Wirtschafstätigkeit erfüllt werden müssen. Zu den Folgen s. Rz. 248.
bb) Keine Vermögensverwaltung
Rz. 345
Überblick. Bislang vertrat die FinVerw auf der Grundlage des früheren Gesetzeswortlauts (§ 50d Abs. 3 Satz 3 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG) die Auffassung, dass eine vermögensverwaltende Tätigkeit nicht unter den Begriff der Wirtschaftstätigkeit fällt (vgl. Rz. 346). Der EuGH hat indes die Versagung des Entlastungsanspruchs wegen vermögensverwaltender Tätigkeit als unionsrechtswidrig beurteilt (vgl. Rz. 347 f.). Daraufhin wurde im Rahmen des AbzStEntModG der gesetzliche Ausschluss der vermögensverwaltenden Tätigkeit aus dem Begriff der Vermögensverwaltung (§ 50d Abs. 3 Satz 3 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG) ersatzlos gestrichen. Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH ist daher auch eine vermögensverwaltende Tätigkeit eine Wirtschaftstätigkeit. Ob eine vermögensverwaltende Tätigkeit einen Missbrauch indiziert, ist nach der Neufassung danach zu überprüfen, ob diese Tätigkeit den Aktivitätstest, den Durchleitungstest und den Substanztest besteht (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG, vgl. Rz. 350 f.).
Rz. 346
(Bisherige) Ansicht der FinVerw in BMF Schreiben vom 24.1.2012. Der Begriff der Wirtschaftstätigkeit war bereits in sämtlichen Vorgängerfassungen des § 50d Abs. 3 (bzw. Abs. 1a) EStG enthalten und entstammt ursprünglich der Basisgesellschafts-Rechtsprechung des BFH (zur gewandelten unionsrechtlichen Bedeutung s. Rz. 247). Hierzu vertrat die FinVerw im BMF-Schreiben vom 24.1.2012 in Anknüpfung an die EuGH-Rs. Cadbury Schweppes die Auffassung, dass eine Wirtschaftstätigkeit eine über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraussetzt. Dies fand nach der Vorgängerfassung auch eine ausdrückliche Grundlage im Gesetz: Nach § 50d Abs. 3 Satz 3 Alt. 1 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG fehlte eine eigene Wirtschaftstätigkeit, "soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt" und das Erfordernis der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr war in § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG (Substanztest) enthalten. Bei Holdinggesellschaften wurde unterschieden zwischen den Kategorien einer – für die Annahme einer Wirtschaftstätigkeit ausreichenden – aktiven Beteiligungsverwaltung durch eine geschäftsleitende Holding und einer – nicht ausreichenden – passiven Beteiligungsverwaltung. Wie sich in den Rs. Deister Holding und GS herausstellte, waren diese Anforderungen jedoch unionsrechtswidrig (vgl. Rz. 347).
Rz. 347
EuGH-Rechtsprechung. In den Rs. Deister Holding und GS hat der EuGH ausdrücklich hervorgehoben, dass aus dem Umstand, dass die Tätigkeit einer Körperschaft nur in der Verwaltung von Wirtschaftsgütern besteht bzw. ihre Einkünfte nur aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern stammen, noch nicht auf eine rein künstliche (= missbräuchliche) Gestaltung ohne jede wirtschaftliche Realität geschlossen werden kann. Mit anderen Worten kann also auch eine vermögensverwaltende Tätigkeit wirtschaftliche Realität widerspiegeln und schließt somit eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. gefestigten Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH nicht von vornherein aus. In diesem Sinne hat der EuGH bereits in der Rs. Leur-Bloem entschieden, dass die Einschaltung bzw. Schaffung einer "Holdinggesellschaft, die als solche kein Unternehmen besitzt" auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruhen kann und deshalb nicht per se einen Missbrauch darstellen kann. Auch in der Rs. Panayi hat der EuGH ausdrücklich festgestellt, dass ein rein vermögensverwaltender UK-Trust eine "tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit" (verstanden als Tätigkeit mit Erwerbszweck) ausübt und sich daher auf die Niederlassungsfreigeit berufen kann. Die Ausübung einer vermögensverwaltenden Tätigkeit kann deshalb nicht schon für sich genommen ein tragfähiges Indiz für einen Missbrauch sein (s. auch Rz. 252). Dies gilt aber nur für die abstrakte Art der Tätigkeit als rein vermögensverwaltend. Unberührt davon bleiben die missbrauchsindizierenden Anforderungen an die Qualität einer jeden Tätigkeit: Daher komm...