Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
1. Konzeption der Hinzurechnungsbesteuerung
Rz. 21
Ursprüngliches Konzept: Beseitigung der Abschirmwirkung. Mit § 10 Abs. 2 verbindet sich die Frage, wie die Hinzurechnungsbesteuerung rechtssystematisch zu verstehen ist (vgl. Vor §§ 7–14 Anm. 1 ff. und 46 ff.). Ausgangspunkt aller Überlegungen war die Tatsache, dass das deutsche Steuerrecht die zivilrechtliche Trennung zwischen Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern übernommen hat und sie im Grundsatz auch für ausländische Kapitalgesellschaften anerkennt. Die Trennung bewirkt, dass der Gesellschafter nur mit den an ihn ausgeschütteten Beteiligungserträgen besteuert wird. Darin liegt ein Abschirmeffekt bezüglich der von der Kapitalgesellschaft thesaurierten Einkünfte vor der Besteuerung beim Gesellschafter. Dieser Abschirmeffekt kann ein zeitlich nur vorübergehender sein, wenn die Kapitalgesellschaft später die zuvor thesaurierten Gewinne ausschüttet. Es kann aber auch ein definitiver Steuervorteil entstehen, wenn es dem Gesellschafter z.B. gelingt, den Wert der thesaurierten Einkünfte durch eine steuerfreie (§ 8 b Abs. 2 KStG) oder nicht steuerbare Anteilsveräußerung (§§ 17, 23 EStG) zu realisieren. Ebenso kann der Gesellschafter einkommensglättende Effekte erzielen, wenn er Ausschüttungen aus der Zwischengesellschaft an seine übrige Einkommensentwicklung anzupassen versteht. Jedenfalls ist es das Ziel der Hinzurechnungsbesteuerung, den bestehenden Abschirmeffekt zu unterlaufen. Dieses Ziel verfolgte der Gesetzgeber aus Gründen der Missbrauchsabwehr. Insoweit ist die Hinzurechnungsbesteuerung auch Ausdruck der Geltung des Welteinkommensprinzips im deutschen Steuerrecht. Sie soll verhindern, dass unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter die Gestaltungsmöglichkeit haben, sog. passive Einkünfte auf niedrig besteuerte Zwischengesellschaften mit der Folge zu verlagern, dass sie nur im Sitzstaat der Zwischengesellschaft und nicht im Inland besteuert werden.
Rz. 22
Quasi-Beteiligungsertragbesteuerung. Die Hinzurechnungsbesteuerung ist konzeptionell als eine fiktive Beteiligungsertragbesteuerung gestaltet. In § 10 Abs. 2 wird fingiert, dass die ausländische Zwischengesellschaft ihre niedrig besteuerten Zwischeneinkünfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt anteilig an die Gesellschafter ausschüttet und diese deshalb Quasi-Beteiligungserträge erzielen. Konsequenterweise hätte der Gesetzgeber alle Vorschriften auf den Hinzurechnungsbetrag für anwendbar erklären müssen, die auch für den Bezug sonstiger Beteiligungserträge gelten. Innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung wird nicht das Prinzip des § 42 AO verwendet. Es werden keine Einkünfte, die tatsächlich die Zwischengesellschaft erzielt, unter Missbrauchsgesichtspunkten den Gesellschaftern zugerechnet. Es wird auch nicht die ausländische Zwischengesellschaft als transparenter Rechtsträger behandelt, der die Einkünfteerzielung seinen Gesellschaftern vermittelt (vgl. Vor §§ 7–14 Anm. 46 ff.). Stattdessen wird eine Ausschüttung fingiert, die tatsächlich nicht stattgefunden haben muss.
Rz. 23
Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter. Ab dem Jahre 1992 sind Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter einer steuerlichen Sonderbehandlung unterworfen. Konzeptionell ist diese Sonderbehandlung nur schwer einzuordnen. Dies gilt vor allem deshalb, weil nach deutschem Steuerrecht Einkünfte aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Kapitalanlagen nur unter den Voraussetzungen der §§ 17 und 23 EStG steuerbar sind. Durch § 7 Abs. 6 a.F. und § 10 Abs. 6 a.F. wurden die Tatbestände der §§ 17 und 23 EStG zumindest gegenüber natürlichen Personen ausgeweitet, die die Beteiligung an der ausländischen Zwischengesellschaft im Privatvermögen hielten. Wer an einer ausländischen Kapitalgesellschaft geringfügig beteiligt ist, wird häufig nicht wissen, ob dieser Kapitalgesellschaft weitere Kapitalgesellschaften nachgeschaltet sind, die ihrerseits niedrig besteuerte Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen. Außerdem lag im Jahr 1992 die für § 17 EStG maßgebende Beteiligungsgrenze noch bei mehr als 25 v.H. In § 7 Abs. 6 a.F. genügte dagegen die Beteiligung von mindestens 10 v.H. (später 1 v.H. bzw. weniger als 1 v.H.). Eine Begründung für die unterschiedliche Behandlung war nicht zu erkennen. Wer nur zu 10 v.H. an einer Zwischengesellschaft beteiligt war, beherrscht dieselbe regelmäßig nicht, weshalb er sie auch nicht zu missbräuchlichen Zwecken verwenden kann. Dies gilt erst recht für eine Beteiligung von 1 v.H. bzw. von weniger als 1 v.H. Tatsächlich bedeuteten deshalb § 7 Abs. 6 a.F. und § 10 Abs. 6 a.F. im Kern eine fiskalisch motivierte Ausweitung deutscher Besteuerungsrechte. Heute gilt dies für § 7 Abs. 6 und 6a.
Rz. 24
Änderung des Körperschaftsteuerrechts – Halbeinkünfteverfahren. Durch das StSenkG v. 23.10.2000 wurde die Konzeption der Hinzurechnungsbesteuerung geändert. Dazu ist festzuhalten, dass das StSenkG auf die Arbeiten der sog. Brühler-Kommission zurückging, die die Aufgabe hatte, das deuts...