Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
1. Regelungsstruktur und -inhalt
Rz. 7
Versagung einer grundsätzlich bestehenden Entlastung von deutscher Abzugsteuer (Tatbestandsvoraussetzungen). § 50d Abs. 3 EStG ist eine spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift (zum Verhältnis zu § 42 AO s. Rz. 594 ff.). Sie richtet sich gegen rein steuerlich motivierte Gestaltungen zum Zwecke des sog. "Treaty-Shopping" oder "Directive-Shopping" (vgl. Rz. 12 ff.) durch substanz- bzw. funktionslose Körperschaften, Personenvereinigung oder Vermögensmassen (im Folgenden "Körperschaften") oder durch Körperschaften als sog. Durchleitungseinheiten ("conduit companies", vgl. Rz. 272 ff. und ausf. Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz. 33 ff.). § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ist im Kern in der Weise strukturiert, dass eine Quellensteuerentlastung nach Satz 1 ausgeschlossen wird, wenn zwei gesetzlich aufgestellte Missbrauchsindizien (Nr. 1 und Nr. 2) kumulativ (Wortlaut: "und") erfüllt werden, die in ihrer Gesamtheit einen steuerlichen Gestaltungsmissbrauch gesetzlich (widerlegbar) vermuten lassen (sog. gesetzliche Missbrauchsvermutung): Eine Körperschaft hat nach § 50d Abs. 3 EStG keinen auf die Grundlage eines DBA gestützten Anspruch auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer oder vom Steuerabzug nach § 50a EStG, soweit (dazu Rz. 479 ff.)
- (i) ihre Anteilseigner diesen Anspruch bei fiktivem Direktbezug der Einkünfte nicht hätten (Satz 1 Nr. 1: sog. fehlende mittelbare persönliche Entlastungsberechtigung als erstes Missbrauchsindiz, vgl. Rz. 167 ff.) und
- (ii) die Einkunftsquelle keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit der Körperschaft aufweist (Satz 1 Nr. 2: sog. fehlende sachliche Entlastungsberechtigung als zweites Missbrauchsindiz, vgl. Rz. 238 ff.).
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, vermutet das Gesetz (widerlegbar), dass die Körperschaft Gegenstand einer missbräuchlichen Treaty- oder Directive-Shopping-Gestaltung ist und versagt deshalb den (mutmaßlich "eingekauften") Entlastungsanspruch (zur Rechtsfolgenbestimmung ausf. Rz. 475 ff.). Die Missbrauchsvermutung des Satzes 1 und die damit verbundene Rechtsfolge kann die Körperschaft vermeiden, indem sie nachweist, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist (Satz 2 Alt. 1, sog. Principal Purpose Test [PPT], vgl. Rz. 504 ff.): in diesem Fall ist die Missbrauchsvermutung des Satzes 1 widerlegt. Gänzlich unanwendbar, weil gesetzlich widerlegt, ist die Missbrauchsvermutung des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG, wenn mit der Hauptgattung der Anteile an der Körperschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet (Satz 2 Alt. 2, sog. Börsenausnahme, vgl. Rz. 577 ff.). Neben § 50d Abs. 3 EStG bleibt die allgemeine Missbrauchsvermeidungsklausel des § 42 AO weiterhin anwendbar (Satz 3, vgl. dazu aber Rz. 594 ff.).
Rz. 8
Rechtsfolge. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist zu differenzieren: § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG trägt für sich genommen (d.h. ohne Satz 2 Alt. 1) eigenständig die Rechtsfolge, die nur optional mit einem Gegenbeweis nach Satz 2 Alt. 1 durch den Steuerpflichtigen abgewendet werden kann, m.a.W.: Satz 2 Alt. 1 ist (im Gegensatz zu Satz 2 Alt. 2!) kein materielles negatives Tatbestandsmerkmal des Satzes 1 (s. auch Rz. 501). Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG erfüllt, so hat die Körperschaft keinen Entlastungsanspruch, „ soweit ” (d.h. in dem betragsmäßigen Umfang als) die Tatbestandsvoraussetzungen in quantitativer Hinsicht erfüllt sind. Die Ermittlung der richtigen (betragsmäßigen) Rechtsfolge kann in der Praxis äußerst schwierige Berechnungen erfordern (s. dazu Rz. 479 ff.).
2. Systematik und Teleologie
Rz. 9
Überblick. Besonderes Gewicht für das Verständnis und die Auslegung des § 50d Abs. 3 EStG kommt der Systematik und Teleologie zu, in welche die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG eingebettet ist. Dies betrifft zunächst die Stellung innerhalb der Gesetzesordnung des EStG (vgl. Rz. 10) sowie die systematische Einordnung in das weitere Normumfeld (vgl. Rz. 11). Besonders hervorzuheben ist schließlich das normspezifische Missbrauchsleitbild des Treaty- und Directive-Shopping (vgl. Rz. 12, 14 ff.) sowie der durch Auslegung zu ermittelnde Schutzbereich des § 50d Abs. 3 EStG (vgl. Rz. 13). Daraus wird verständlich, was die einzelnen Missbrauchsindizien des § 50d Abs. 3 EStG eigentlich bezwecken (vgl. Rz. 14 ff.). Abschließend ist noch nach dem Gegenstand und Zeitpunkt des von § 50d Abs. 3 EStG verfolgten Missbrauchs zu fragen, insbesondere, ob es den Versuch eines Missbrauchs gibt und dieser von § 50d Abs. 3 EStG erfasst wird (vgl. Rz. 18).
Rz. 10
Stellung innerhalb des EStG. § 50d Abs. 3 EStG ist Teil des Abschitts "IX. Sonstige Vorschriften [...]", seine Bedeutung ergibt sich aber erst aus seiner (im Zuge de...