Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
1. Systematik
Rz. 626
Untersuchungsgrundsatz, Mitwirkungspflichten und Beweislast. Im Verwaltungsverfahren mit der Finanzbehörde und im Gerichtsverfahren vor dem FG gilt der sog. Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 88 AO, § 76 FGO). Das bedeutet, dass die Finanzbehörde bzw. das FG die steuerrelevanten Tatsachen (den Sachverhalt) von Amts wegen aufzuklären haben und die Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts tragen; sie entscheiden über Art und Umfang der Ermittlungen (vgl. § 88 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 AO). Die Finanzbehörde und das FG haben sowohl die Tatsachen zu ermitteln, die für den Steuerpflichtigen günstig sind, als auch die Tatsachen zu ermitteln, die für den Steuerpflichtigen ungünstig sind (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 2 AO). Daraus folgt, dass es im Finanzverwaltungs- und Finanzgerichtsverfahren grundsätzlich keine subjektive Beweislast (Beweisführungslast) gibt (vgl. dazu Rz. 627, s. aber zum PPT Rz. 517). Kann der Sachverhalt aber nicht aufgeklärt werden, gelten die allgemeinen Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) (vgl. Rz. 628). Da die Finanzbehörde den Sachverhalt in aller Regel nicht in eigener Wahrnehmung ermitteln kann, hängt die Wahrnehmung ihrer Aufgaben von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen und Dritter Personen ab. Aus diesem Grund statuiert § 90 AO Mitwirkungspflichten der Beteiligten. Daraus ergibt sich ein Kooperationsverhältnis zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem. In Auslandsfällen (wie in aller Regel bei § 50d Abs. 3 EStG) sind die Mitwirkungspflichten aufgrund der sog. formellen Territorialität der deutschen Hoheitsgewalt erweitert (§ 90 Abs. 2 AO, s. Rz. 629 ff.).
2. Beweislast
Rz. 627
Subjektive Beweislast (Beweisführungslast). Sie betrifft die Obliegenheit eines Beteiligten, zur Meidung eines Prozessverlustes durch eigene Tätigkeit den Beweis einer streitigen Tatsache zu führen. Aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes gibt es im Finanzverwaltungs- und Finanzgerichtsverfahren grundsätzlich keine subjektive Beweislast (Beweisführungslast). Allerdings kann der Gesetzgeber bestimmte Beweisführungs- bzw. Nachweispflichten normieren; dadurch wird der Untersuchungsgrundsatz ausnahmsweise durchbrochen: Erbringt der Nachweispflichtige dann nicht den erforderlichen Nachweis, gilt das nachzuweisende als unerwiesen und die Finanzbehörde hat den Sachverhalt insoweit nicht von Amts wegen zu ermitteln. Wird im materiellen Recht ein besonderes Nachweiserfordernis normiert, so handelt es sich dabei um eine materielle Tatbestandsvoraussetzung: Wird der Nachweis nicht erbracht, so fehlt es schlicht an den für eine steuermindernde Rechtsfolge erforderlichen Tatbestandsmerkmalen der betreffenden Norm. Darüber hinaus soll durch die Anordnung einer Nachweispflicht auch eine Schätzung nach § 162 AO ausscheiden. Eine solche "echte" subjektive Beweislast (Beweisführungslast) bzw. Nachweispflicht ist in § 50d Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG (PPT) geregelt (nicht aber in Alt. 2, vgl. Rz. 516 f.).
Rz. 628
Objektive Beweislast (Feststellungslast). Sie betrifft die Frage, zu wessen Lasten – nach Ausschöpfung der von Amts wegen einzuleitenden Aufklärungsmöglichkeiten (vgl. Rz. 626) – die Nichtaufklärbarkeit einer streitigen Tatsache geht. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt im Finanzverwaltungs- und Finanzgerichtsverfahren die Finanzbehörde die Feststellungslast für steuerbegründende bzw. -erhöhende Tatsachen. Der Steuerpflichtige trägt hingegen die Feststellungslast für steuerentlastende bzw. -mindernde Tatsachen. Die Beurteilung als steuerbegründende oder steuerentlastende Tatsache hat nicht allgemein (pauschal), sondern in jedem konkreten Einzelfall zu erfolgen: Wer sich in einem Verfahren zur Ableitung bestimmter, für ihn günstiger Rechtsfolgen auf ein Tatbestandsmerkmal beruft, trägt hierfür die Feststellungslast. Zu beachten ist aber, dass eine Sachaufklärung mit Überzeugungsbildung und eine an der Sphärenverantwortung orientierte Beweismaßreduzierung (insb. bei Verletzung von Mitwirkungspflichten, vgl. Rz. 633) Vorrang vor einer Beweislastentscheidung hat. Im typisierten Rahmen des Freistellungs- und Erstattungsverfahrens (vgl. Rz. 613 ff.) lässt sich aber für die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG gleichwohl eine gewisse Generalisierung vornehmen:
- Die Körperschaft (Steuerpflichtiger) trägt die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen für den Entlastungsanspruch vorliegen (z.B. § 43b EStG, DBA).
- Die Finanzbehörde trägt die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG vorliegen. Das mag sich nicht eindeutig aus dem einfachen Recht ergeben, weil man § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG einerseits als (wieder) steuerbegründende Ausnahme, andererseits aber auch als zu den steuermindernden Voraussetzungen des Entlastungsanspruchs hinzutretende Voraussetzungen einordnen kann. Aus unionsrechtlichen Gründen trägt die Finanzbehörde aber die objektive Beweislast: De...