1. Grundsätzliches
Rz. 239
Freistellungsverfahren als Ausnahme zum Grundsatz des fortbestehenden Quellensteuerabzugs. Eine Ausnahme zum Grundsatz des fortbestehenden Quellensteuerabzugs bildet das Freistellungsverfahren gem. § 50d Abs. 2. Das Freistellungsverfahren ist auf die Fälle des Steuerabzugs gem. §§ 43b, 50a Abs. 1, 50g EStG anwendbar. In der Rechtsfolge ermöglicht es das Freistellungsverfahren, dass der Schuldner der Kapitalerträge oder Vergütungen den Steuerabzug nach Maßgabe von § 43b oder § 50g EStG oder des Abkommens unterlässt oder nach einem niedrigeren Steuersatz vornimmt. Es führt also insoweit zu einer Erleichterung, als das zweistufige Verfahren der Einbehaltung und Abführung der Steuer mit anschließender Erstattung entbehrlich ist. Voraussetzung hierfür ist, dass das Bundeszentralamt für Steuern den Gläubiger aufgrund eines von ihm nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck gestellten Antrags bescheinigt, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Rz. 240
Erstattung aufgrund "nachträglich" erteilten Freistellungsbescheinigung. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber auch auf der Grundlage einer "nachträglich" erteilten Freistellungsbescheinigung eine Erstattung erlangt werden, indem – vorbehaltlich der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen – eine Änderung der Steueranmeldung erwirkt wird (s. hierzu Anm. 273 ff., 276 ff., 299 ff.).
Rz. 241
Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses. Ein Anspruch auf Erteilung der Freistellungsbescheinigung – und damit auch ein Rechtsschutzbedürfnis – infolge Ablaufs des Freistellungszeitraums gem. § 50d Abs. 2 Satz 4 entfällt, wenn aus der Bescheinigung keinerlei Vorteil mehr gezogen werden kann.
2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale
a) Freistellung vom Steuerabzug (Satz 1)
Rz. 242
Regelungsinhalt des § 50d Abs. 2 Satz 1. Gemäß Satz 1 Halbs. 1 kann der Schuldner der Kapitalerträge oder Vergütungen in den Fällen der §§ 43b, 50a Abs. 1, § 50g EStG den Steuerabzug nach Maßgabe von § 43b oder § 50g EStG oder des Abkommens unterlassen oder nach einem niedrigeren Steuersatz vornehmen, wenn das Bundeszentralamt für Steuern dem Gläubiger aufgrund eines von ihm nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck gestellten Antrags bescheinigt, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen (Freistellung im Steuerabzugsverfahren).
aa) Erfasste Kapitalerträge und Vergütungen
(1) Vergütungen i.S.v. § 50a EStG und Kapitalerträge i.S.v. § 43b EStG
Rz. 243
Vergütungen i.S.v. § 50a EStG und Kapitalerträge als Gegenstand des Freistellungsverfahrens. Hiernach ist das Freistellungsverfahren anwendbar auf Vergütungen i.S.v. § 50a Abs. 1 EStG, Kapitalerträge (offene und verdeckte Gewinnausschüttungen) i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG an Muttergesellschaften im EU-Ausland, wenn die Voraussetzungen des § 43b EStG gegeben sind.
(2) Zinsen- und Lizenzgebühren i.S.v. § 50g EStG
Rz. 244
Zinsen und Lizenzgebühren als Gegenstand des Freistellungsverfahrens. Außerdem ist das Freistellungsverfahren grundsätzlich anwendbar auf Zinsen und Lizenzgebühren, die gem. § 50g EStG von einem inländischen Unternehmen oder einer inländischen Betriebsstätte an ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte in einem anderen EU-Mitgliedstaat gezahlt werden.
Rz. 245
Uneinigkeit hinsichtlich der tatsächlichen Anwendung. Die tatsächliche Anwendung des Freistellungsverfahren auf diese Fälle ist allerdings streitig. Zum Teil wird vertreten, dass dies nur in Fällen denkbar wäre, in denen die Voraussetzungen des § 50g Abs. 1 EStG erfüllt sind, der Steuerpflichtige jedoch keinen rechtzeitigen Antrag gem. § 50g Abs. 1 EStG auf Nichterhebung von Quellensteuer gestellt hat, sondern vielmehr einen Antrag gem. § 50d Abs. 2. Würde ein Antrag gem. § 50g Abs. 1 EStG vorliegen, so würde der Schuldner der Kapitalerträge nämlich bereits bei Zahlung von der deutschen Quellenbesteuerung absehen. Andere Stimmen hingegen sehen das Freistellungsverfahren auch für die Geltendmachung der Entlastung nach § 50g EStG als maßgeblich an. Zur Begründung wird angeführt, dass selbst bei Stellung eines Antrags nach § 50g EStG die Regelung des § 50d Abs. 1 Satz 1 "ungeachtet von § 50g " gelten würde, weshalb jedenfalls der Antrag nach § 50d Abs. 2 notwendig sei, um den Steuerabzug zu vermeiden.
(3) Nicht von § 43b EStG erfasste Kapitalerträge
Rz. 246
Erweiterung des Anwendungsbereichs für nicht von § 43b EStG erfasste Mutter-Tochter-Beteiligungen. Für Mutter-Tochter-Beteiligungen erweitert Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 das Freistellungsverfahren. Hiernach gilt das Freistellungsverfahren auch für Kapitalerträge, die von einer inländischen Kapitalgesellschaft an eine nach einem DBA im anderen Vertragsstaat ...