Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 46
Urteilssachverhalt. Seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SGI steht fest, dass eine diskriminierende Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 jedenfalls im Verhältnis zu EU-Gesellschaften die Grundfreiheiten des AEUV beschränkt. Grundlage dieser Entscheidung war eine belgische Vorschrift, nach der Verrechnungspreiskorrekturen durchzuführen sind, wenn außergewöhnliche oder unentgeltliche Vorteile an ein im Ausland ansässiges Unternehmen gewährt werden, mit dem das vorteilsgewährende, in Belgien ansässige Unternehmen gesellschaftsrechtlich verbunden ist. Hätte hingegen die in Belgien ansässige SGI dieses unverzinsliche Darlehen an eine belgische Tochtergesellschaft gewährt, wäre keine Einkünftekorrektur vorgenommen worden. Fraglich war daher, ob die entsprechende belgische Vorschrift gegen primäres Unionsrecht verstößt.
Rz. 46.1
Entscheidung des EuGH. Der EuGH sah in der Anwendung der belgischen Vorschrift eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die allerdings gerechtfertigt sei. Dabei wurden zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung einerseits die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und andererseits die Verhütung von Steuerumgehungen angeführt. Ein Absehen von der Besteuerung solcher außergewöhnlichen und unentgeltlichen Vorteile bringe die Gefahr der Verlagerung von in Belgien erwirtschafteten Gewinnen in Niedrigsteuerländer mit sich. Im Ergebnis gelangte der EuGH auf Basis der Zusammenschau der beiden vorgenannten Rechtfertigungsgründe zu der Auffassung, dass die entsprechende belgische Regelung den Gründen des Allgemeininteresses entspricht und zur Zielerreichung geeignet ist. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hatte der EuGH allerdings auf folgende Bedingungen hingewiesen, die erfüllt sein müssen, damit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist:
- Zunächst muss die nationale Regelung eine Prüfung objektiver und nachprüfbarer Umstände vorsehen, damit festgestellt werden kann, ob ein geschäftlicher Vorgang eine rein künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken darstellt. Dabei wurde der Fremdvergleichsgrundsatz durch den EuGH als "objektives, für Dritte nachprüfbares Kriterium" bezeichnet, anhand dessen festgestellt werden kann, ob eine rein künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken vorliegt oder nicht.
- Ferner muss dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben werden, wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des beanstandeten Geschäfts nachzuweisen. Auch ein Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz führt damit nicht zwangsläufig zu einer Verrechnungspreiskorrektur, wenn die Preisfindung gleichwohl von außersteuerlichen Erwägungen getragen wird.
- Schließlich darf eine Gewinnkorrektur aufgrund unangemessener Verrechnungspreise nur insoweit durchgeführt werden, als das vereinbarte Entgelt zu Lasten des nationalen Fiskus nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.
Im Ergebnis sah der EuGH in der SGI-Entscheidung eine Gewinnkorrektur aufgrund unangemessener Verrechnungspreise für europarechtlich grundsätzlich zulässig an. Um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen, kann die Einkünftekorrektur jedoch Beschränkungen unterliegen. Schon vor diesem Hintergrund war die Vereinbarkeit von § 1 mit Unionsrecht zweifelhaft. Vertreter der Finanzverwaltung zogen aus der Entscheidung indessen die Schlussfolgerung, dass es sich bei § 1 um eine "zur Wahrung einer international ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte und zur Verhütung von Steuerumgehung dienende verhältnismäßige Regelung" handelt, "die den EG-rechtlichen Anforderungen vollumfänglich standhält".