Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1303
Entstehung zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche bei Funktionsverlagerungen. Einen Sonderfall der Einzelbewertung bilden zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche. Es ist eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen einem Konzernunternehmen gegenüber einem anderen Konzernunternehmen Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche zustehen. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche werden ihre Grundlage häufig in den zwischen diesen Unternehmen bestehenden Verträgen haben. Zu denken ist etwa an vertraglich vereinbarte Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche für nicht amortisierte Investitionen oder entgangene Gewinne bei vorzeitiger Kündigung des Vertragsverhältnisses. Denkbar sind auch Ansprüche aufgrund eines Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbot. Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche können sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Besondere Bedeutung kommt dem Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB zu, der im Wesentlichen auf Unionsrecht beruht. Nach dieser Vorschrift hat der Handelsvertreter gegen den Unternehmer im Fall der Kündigung des Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich, wenn er während der Dauer des Handelsvertretervertrags den Kundenstamm erweitert oder intensiviert hat und aufgrund der Kündigung des Vertragsverhältnisses Provisionsansprüche verliert, die er bei Fortführung des Vertrags erlangt hätte, sofern ein solcher Anspruch der Billigkeit entspricht. Auf einen Eigenhändler ist § 89b HGB nach höchstrichterlicher Rspr. analog anwendbar, wenn der Eigenhändler wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert und vertraglich verpflichtet ist, dem Hersteller nach Vertragsende seinen Kundenstamm zu überlassen, sodass sich der Hersteller dessen Vorteile sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann. Nach Borstell/Riesselmann kommt es für die Frage der Eingliederung in die Absatzorganisation des Herstellers vor allem auf folgende Aspekte an:
- vertragliche Zuweisung eines bestimmten Vertriebsgebiets an den Eigenhändler,
- Pflicht des Eigenhändlers zur aktiven Vermarktung der Produkte des Herstellers,
- Verpflichtung des Eigenhändlers zur Abnahme einer Mindestzahl von Produkten,
- Pflicht des Eigenhändlers zur Zusammenarbeit mit dem Personal des Herstellers,
- Vereinbarung von Wettbewerbsbeschränkungen zulasten des Eigenhändlers,
- Übernahme einer Garantie durch den Hersteller für die gelieferten Produkte.
Ausgleichsansprüche eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers nach § 89b HGB können auch im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen Bedeutung erlangen. Zu denken ist etwa an eine inländische Vertriebsgesellschaft, die künftig nicht mehr für den Vertrieb, sondern nur noch für die Warenauslieferung oder vergleichbare Dienstleistungen zuständig sein soll. Zu diesem Zweck kündigt die ausländische Herstellergesellschaft den bestehenden Vertriebsvertrag fristgemäß. Der Vertrieb erfolgt künftig durch die ausländische Herstellergesellschaft. In diesem Fall kommt ein Ausgleichsanspruch der inländischen Vertriebsgesellschaft gegen die ausländische Herstellergesellschaft nach § 89b HGB in Betracht. Gleichzeitig führt die Übertragung der Vertriebsfunktion auf die ausländische Herstellergesellschaft zu einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1. Neben den bereits genannten möglichen Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen sind nach Auffassung der Finanzverwaltung auch Ansprüche aus einem vertraglichen oder tatsächlichen Ausschluss von bestehenden Handlungsalternativen für eines der beteiligten Unternehmen denkbar.
Rz. 1304
Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers nach § 89b HGB erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst ist im Rahmen einer zukunftsorientierten Betrachtung der Rohausgleich nach § 89b Abs. 1 HGB zu bestimmen. Im zweiten Schritt ist anhand von Vergangenheitswerten zu prüfen, ob der sich ergebende Betrag die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 HGB einhält. Zur Ermittlung des Rohausgleichs nach § 89b Abs. 1 HGB sind zunächst die Provisionen zu bestimmen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler mit den von ihm geworbenen Neukunden in der Zukunft erwirtschaftet hätte, die ihm aber aufgrund der Kündigung des Vertragsverhältnisses entgehen. Hierzu ist auf die Provisionen abzustellen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler in den letzten zwölf Monaten vor der Beendigung des Vertragsverhältnisses erzielt hat. Der auf diese Weise ermittelte Betrag muss um eine Reihe von Korrekturposten gekürzt werden. Abzuziehen sind zunächst die Provisionen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler nicht aus Geschäften mit Neukunden oder intensivierten Altkunden erzielt hat. Dies folgt bereits...