Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
I. Entstehungsgeschichte des § 1
1. Regelung des Fremdvergleichsgrundsatzes vor Implementierung des § 1
Rz. 1
Entstehung des § 1 als Folge des Dealing-at-arm's-length-Grundsatzes. Häufig sind international verflochtene Unternehmen aus steuerlichen Gründen bei der Gestaltung ihrer Geschäftsbeziehungen dem Anreiz ausgesetzt, Gewinne nicht im Inland, sondern im (niedriger besteuerten) Ausland entstehen zu lassen. Das hieraus hervorgehende Regelungsbedürfnis des Gesetzgebers, unangemessene Gewinnverlagerungen durch nicht fremdüblich vereinbarte Preise zu unterbinden, begleitet das deutsche Ertragsteuerrecht fast seit seiner Entstehung. Die Konzeption des heute bekannten § 1 steht gewissermaßen am Ende der Entstehungsgeschichte des Maßstabs des Fremdverhaltens ("Dealing-at-arm's-length-Grundsatz") als Vergleichsmaßstab für die Angemessenheit vereinbarter Verrechnungspreise, um die Verlagerung von Einkünften in das Ausland zu vermeiden; die Vorschrift soll Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in nationales Recht umsetzen (vgl. Rz. 17.2). Seit der Implementierung des AStG im Jahr 1972 wurde § 1 mehrfach angepasst, häufig als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH und zur Vermeidung von "Schlupflöchern", um seinem Sinn und Zweck (siehe zu Einzelheiten Rz. 17 ff.) nachzukommen. Die OECD und die G20-haben auch nach dem BEPS-Projekt am Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise festgehalten (vgl. 16.8). Gleichwohl haben die Entwicklungen der letzten Jahre zunehmend zu einer mehr "internationalen"Sicht auf § 1 geführt. Infolgedessen wurde die Vorschrift in 2021 grundlegend durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz und das ATAD-Umsetzungsgesetz reformiert. Einzelheiten sind in den Rz. 14.2 ff. dargestellt.
Rz. 2
EStG 1925 und 1934. Innerstaatlich wurde das Thema "Gewinnverlagerungen ins Ausland" bereits in § 33 EStG 1925 und in § 30 EStG 1934 angesprochen. Die Vorschriften lauteten wie folgt:
§ 33 EStG 1925
(1) Steht der Gewinn aus einem inländischen Gewerbebetrieb infolge besonderer Vereinbarungen des Steuerpflichtigen mit einem im Inland nicht unbeschränkt Steuerpflichtigen in offenbarem Mißverhältnis zu dem Gewinne, der sonst bei Geschäften gleicher oder ähnlicher Art erzielt wird, so kann dieser Gewinn, mindestens aber die übliche Verzinsung des dem Betriebe dienenden Kapitals bei der Einkommensermittlung für den inländischen Gewerbebetrieb angesetzt werden. Als Kapital i.S. dieser Vorschrift gilt außer dem Anlagekapital auch das umlaufende Betriebskapital, insbesondere Waren, Erzeugnisse und Vorräte.
(2) Die Vorschrift des Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass weder er am Vermögen oder am Gewinne des ausländischen Gewerbebetriebes noch dessen Inhaber am Gewinn oder am Vermögen seines Gewerbebetriebes wesentlich beteiligt ist; was als wesentliche Beteiligung anzusehen ist, bestimmt sich nach § 30 Abs. 3 Satz 2.
§ 30 EStG 1934 Besteuerung bei Auslandsbeziehungen
Das Landesfinanzamt kann bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit ohne Rücksicht auf das ausgewiesene Ergebnis die Einkommensteuer in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn besondere unmittelbare oder mittelbare Beziehungen des Betriebes zu einer Person, die im Inland entweder nicht oder nur beschränkt steuerpflichtig ist, eine Gewinnminderung ermöglichen. Das Landesfinanzamt entscheidet nach seinem Ermessen.
§ 30 EStG 1934 sollte die Schwierigkeiten beheben, die sich auf der Grundlage des § 33 EStG 1925 ergeben hatten. Angesprochen ist insoweit vor allem das Fehlen von Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltsaufklärung. Der RFH hat sich in seinem Urteil v. 21.12.1938 mit § 30 EStG 1934 auseinandergesetzt. Aber erst der BFH hat die Vorschrift durch Urteil v. 7.4.1959 als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat aufgrund des umfassenden Ermessens des Finanzamts, das in einer Art "Pauschbesteuerung" mündete, einen Verstoß gegen Art. 3 GG angenommen.
Rz. 3
Oasenbericht und Oasenerlass. "Gewinnverlagerungen ins Ausland" wurden im sog. Oasenbericht und in Tz. I des Oasenerlasses v. 14.6.1965 mit der Forderung angesprochen, solchen Gewinnverlagerungen die steuerliche Anerkennung zu versagen, ohne dass jedoch eine Rechtsgrundlage für die Gewinnkorrektur genannt wurde. Erst am 17.12.1970 beschloss die Bundesregierung Leitsätze für ein Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen als erste Grundlage für den später vom Gesetzgeber in Kraft gesetzten § 1.