Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 49
Relevanz des Beihilfeverbots in Steuersachen frühzeitig erkannt. Beihilfen, die EU-Mitgliedstaaten bestimmten Unternehmen in ihrem Hoheitsgebiet gewähren, sind aufgrund ihrer wettbewerbsverfälschenden Wirkung grds. nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar (Art. 107 Abs. 1 AEUV). Inwieweit auch steuerliche Maßnahmen in den Anwendungsbereich des EU-Beihilferechts fallen, erschließt sich dabei nicht unmittelbar, werden mit steuerlichen Vorschriften doch eher Belastungen als Begünstigungen assoziiert. Gleichwohl besteht seit langer Zeit Einigkeit darüber, dass auch steuerliche Maßnahmen vom Beihilfeverbot erfasst werden. So führte der EuGH bereits 1961 aus, dass der Begriff der Beihilfe weiter gehe als der Begriff der Subvention und nicht nur direkte Zuwendungen, sondern auch andere Maßnahmen erfasse, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, welche ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im engeren Sinne darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen. Trotz dieser frühen Erkenntnis wurden steuerliche Maßnahmen jedoch längst nicht in konsequenter und systematischer Weise der Beihilfenkontrolle unterstellt, sodass die Thematik "Beihilfen und Steuern" noch lange Jahre ein "Schattendasein" fristete.
Rz. 49.1
Bedeutungszuwachs in den 1990er Jahren. Ein Bedeutungszuwachs des EU-Beihilferechts für den Bereich der Besteuerung ist erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu verzeichnen. Ausgangspunkt war eine Untersuchung der mitgliedstaatlichen Steuersysteme und die daraus gewonnene Erkenntnis, dass die Mitgliedstaaten zunehmend im Wettstreit um Steuereinnahmen stehen und diesen Wettstreit teils mit Hilfe steuerlicher Anreize zu ihren Gunsten zu entscheiden versuchten, woraufhin die Kommission ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs auf den Weg brachte. Dieses beinhaltete einen Verhaltenskodex, in dem potenziell schädliche steuerliche Maßnahmen benannt wurden und in dem zur Bekämpfung dieser auch explizit das Instrument des Beihilfeverbots vorgesehen war. In der Folge wurde die Beihilfenkontrolle in Bezug auf mitgliedstaatliche Steuerregelungen in bedeutendem Ausmaß intensiviert, womit sich das Klima für die Steuervergünstigungen der Mitgliedstaaten nachhaltig verändert hat. Seit dieser Zeit wurde eine erhebliche Anzahl steuerlicher Maßnahmen Gegenstand beihilferechtlicher Untersuchungen, über die nicht zuletzt teils auch gerichtlich entschieden wurde. Insbesondere ist eine im Jahr 2001 gestartete "groß angelegte Überprüfung der Unternehmensbesteuerung" zu erwähnen, im Rahmen derer fünfzehn Steuerregelungen in zwölf Mitgliedstaaten untersucht wurden, wobei vorrangig Steuervergünstigungen für multinationale Unternehmen und Unternehmen aus der Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche in den Fokus genommen wurden.
Rz. 49.2
Beihilfeverbot und deutsches Steuerrecht. Im deutschen Kontext wurde die Strahlkraft des EU-Beihilferechts u.a. Anfang 2009 im Zusammenhang mit zwei AdV-Beschlüssen zur Mineralölsteuer augenscheinlich, mit denen der BFH entschied, dass rechtswidrig eingeführte Beihilfen nach einem Negativbeschluss der EU-Kommission aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts auch dann der Rückforderung unterliegen, wenn nach nationalem Verfahrensrecht bereits Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) eingetreten ist. Für einen Paukenschlag sorgte dann schließlich der Negativbeschluss der EU-Kommission vom 26.1.2011 betreffend die sog. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG). Spätestens damit war das EU-Beihilferecht im deutschen Steuerrecht angekommen und beschäftigt seitdem mehr als zuvor die Unternehmen und ihre Beraterschaft, die Gerichte wie auch die Wissenschaft. Auch auf Seiten des Gesetzgebers ist zu konstatieren, dass die Frage nach der Vereinbarkeit einer steuerlichen Maßnahme mit dem EU-Beihilferecht in den Gesetzgebungsverfahren zunehmend Berücksichtigung findet bzw. dass der Gesetzgeber um eine beihilfekonforme Ausgestaltung seiner Steuergesetze bemüht ist, was u.a. die Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des § 8d KStG, zur Kodifizierung der steuerlichen Behandlung von Sanierungserträgen, zur Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen oder zur Einführung einer steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus zeigen. Als vorläufiger Abschluss dieser Entwicklung kann aus deutscher Sicht zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung des EuGH zur grunderwerbsteuerlichen Konzernklausel gem. § 6a GrEStG betrachtet werden.
Rz. 49.3
Verstärkte beihilferechtliche Untersuchung von Tax Rulings seit 2012/2013. Etwa zwei Jahrzehnte nachdem das Beihilfeverbot schon einmal im Kampf gegen den schädlichen Steuerwettbewerb in Stellung gebracht wurde, kommt das Beihilfeverbot nun erneut zum Einsatz, um vermeintlich aggressiven bzw. schäd...