Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1214
Ausgangssachverhalt. Die Verlagerung von Produktionsfunktionen auf einen Lohnfertiger wird anhand des folgenden Sachverhalts dargestellt:
Beispiel:
Die A-GmbH mit Sitz in Bonn ist in den Bereichen der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Kühlschränken tätig. Die Kühlaggregate, die im Rahmen der Produktion der Kühlschränke benötigt werden, werden derzeit in Bonn entwickelt und hergestellt. Daneben werden die Kühlaggregate in erheblichem Umfang an externe Kunden der A-GmbH vertrieben. Zur Herstellung der Kühlaggregate sind Patente notwendig, die von der A-GmbH selbst entwickelt wurden. Die Kühlaggregate werden permanent weiterentwickelt; üblicherweise haben sie einen Produktlebenszyklus von fünf Jahren. Auf Grund des zunehmenden Wettbewerbsdrucks aus Asien und der steigenden Lohnkosten in Deutschland erwirtschaftet die Sparte "Kühlaggregate" der A-GmbH seit geraumer Zeit Verluste. Die in diesem Zusammenhang eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen konnten daran nichts ändern. Es wird dauerhaft von jährlichen Verlusten i.H. von mindestens 400.000 Euro ausgegangen. Falls die A-GmbH die Sparte "Kühlaggregate" schließen würde, könnte sie aus dem Verkauf der bestehenden Produktionsanlagen Einnahmen i.H. von 500.000 Euro erzielen. Gleichzeitig würden Schließungskosten i.H. von 800.000 Euro entstehen. Vor diesem Hintergrund beschließt die Geschäftsführung der A-GmbH, die Produktion der Kühlaggregate in Bonn einzustellen und diese zukünftig in Ungarn durch die neu gegründete Tochtergesellschaft B-Kft. herzustellen. Die Produktionsanlagen wurden bereits nach Ungarn überführt. Die Patente verbleiben jedoch bei der A-GmbH. Zum Aufbau der Produktionsanlagen sowie zur Einarbeitung der ungarischen Fachkräfte sollen zudem Ingenieure der A-GmbH entsandt werden. Die B-Kft. wird nach der Produktionsverlagerung ausschließlich für die A-GmbH produzieren und erhält dafür eine nach der Kostenaufschlagsmethode berechnete Vergütung. Die A-GmbH hat sich zudem vertraglich zur Abnahme der gesamten Produktion verpflichtet.
Rz. 1215
Anwendung des § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 bzw. § 2 Abs. 2 FVerlV 2008. Selbst wenn man – entgegen den o.g. Grundsätzen – von einer Funktionsverlagerung ausgehen würde, wäre § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 bzw. § 2 Abs. 2 FVerlV 2008 einschlägig. Denn die B Kft. produziert die Kühlaggregate ausschließlich für die A GmbH und der entsprechende Verrechnungspreis wird nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden. Damit ist die Escape-Klausel des § 1 Abs. 3b Satz 2 anwendbar, die im Ergebnis zu einer Einzelbewertung der übergegangenen Produktionsanlagen führt.
Rz. 1216
Voraussetzungen eines Lohnfertigers. Die B Kft. agiert als reiner Lohnfertiger zur Herstellung der Kühlaggregate für die A GmbH. Für einen Lohnfertiger sind die folgenden Merkmale typisch:
- Der Lohnfertiger trägt keine Produktionsrisiken (z.B. Qualitätsrisiko, Auslastungsrisiko, Absatzrisiko und Lagerrisiko).
- Der Lohnfertiger hat die Produkte nicht selbst entwickelt und besitzt oder erwirbt kein Eigentum an den für die Produktion erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgütern (hier: Patente).
- Der Lohnfertiger nimmt keine Vermarktungsfunktion wahr und trägt keine Marktrisiken.
- Der Lohnfertiger verfügt über keine entsprechenden Entscheidungskompetenzen.
- Der Lohnfertiger erhält die für seine Produktionsschritte notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und ggf. auch die Produktionsanlagen vom Auftraggeber beigestellt.
Diese Voraussetzungen sind bei der B Kft. erfüllt. Infolgedessen werden auf die B Kft. weder Geschäftschancen noch Gewinnpotential von der A GmbH übertragen. Denn der A GmbH stehen weiterhin alle Chancen und Risiken aus der Herstellung der Kühlaggregate bzw. der Kühlschränke zu, die sich z.B. aus der Vermarktung und Weiterverarbeitung ergeben. Da folglich die Chancen und Risiken sowie die wesentlichen Wirtschaftsgüter bei der A GmbH verbleiben (insbesondere Kundenstamm und Patente), kommt es nicht zu einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1. Vielmehr greift der Gedanke des § 1 Abs. 7 FVerlV 2008, wonach keine Funktionsverlagerung vorliegt, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden oder nur Dienstleistungen erbracht werden.
Rz. 1217
Personalentsendung. Die Entsendung der Ingenieure an sich stellt keine Funktionsverlagerung dar. Vielmehr sind – soweit die Voraussetzungen des BMF-Schreibens zur Arbeitnehmerentsendung v. 9.11.2001 erfüllt sind – lediglich die für die Ingenieure angefallenen Kosten an die B Kft. zu verrechnen. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, können die Dienstleistungen der Ingenieure anhand der Kostenaufschlagsmethode verrechnet werden. Im Rahmen der Personalentsendung ist grundsätzlich kein gesondertes Entgelt für die Überlassung von Know-h...