Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 623
Ausgangspunkt. Betriebliche Funktionen im Absatz- und Vertriebsbereich sind aus Verrechnungspreissicht von signifikanter Bedeutung, weil bereits zivilrechtlich verschiedene Vertriebsformen (Eigenhändler, d.h. Kauf oder Verkauf im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, Kommissionär, d.h. Kauf oder Verkauf im eigenen Namen, jedoch auf fremde Rechnung, Handelsvertreter, d.h. Kauf oder Verkauf auf fremden Namen und fremde Rechnung, Handelsmakler, d.h. bloße Vermittlung von Handelsgeschäften) existieren, die – aufgrund ihrer strukturellen Besonderheiten – entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung haben. Die Analyse von Funktionen im Absatz- und Vertriebsbereich ist daher u.a. von der bereits aus zivilrechtlicher Perspektive gewählten Vertriebsform abhängig. Innerhalb der vorgenannten Vertriebsformen hängt die Ausgestaltung des Funktions- und Risikoprofils ferner davon ab, in welchem Marktumfeld und auf welcher Handelsstufe (Großhandel, Zwischenhandel, Einzelhandel) sich der Vertreiber befindet. Allgemein können bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Rahmen von Waren- oder Güterlieferungen zwischen verbundenen Unternehmen u.a. folgende Schlüsselparameter Berücksichtigung finden, die zwischen fremden Dritten bei der Preisbildung regelmäßig bedacht würden:
- Gleichartigkeit der vertriebenen Güter oder Waren (Beschaffenheit, Qualität, Innovationsgehalt etc.);
- Vertriebsmengen;
- Markt- und Wettbewerbsverhältnisse;
- Handelsstufe;
- Liefervereinbarungen (Haftungsverhältnisse, Zahlungsziele, Rabatte, Skonti, Gefahrentragung, Gewährleistung etc.).
Rz. 624
Handelsstufen und Vertriebsstrukturierung. Um die mit einer Vertriebstätigkeit verbundenen Funktionen und Risiken besser nachvollziehen zu können, ist zunächst eine Betrachtung der jeweiligen strukturellen Positionierung des Vertreibers innerhalb eines Marktes durchzuführen. Im Einzelnen sind folgende Betriebsformen zu unterscheiden:
- Großhandel. Ist das Vertriebsunternehmen im Bereich Großhandel tätig, so erfolgt die Vertriebstätigkeit vornehmlich gegenüber anderen gewerblichen Abnehmern ("B2B"), was insbesondere Auswirkungen auf die Bedeutung von Marken und Markenartikeln im Rahmen dieser Handelsstufe hat. Denn bei Geschäftsbeziehungen im Unternehmenskundensegment ist der Absatzförderungsnutzen aus der Verwendung einer Marke oder Warenbezeichnung i.d.R. von untergeordneter Bedeutung. Der Grund hierfür liegt darin, dass sog. "B2B-Geschäfte" regelmäßig zwischen professionellen Einkaufsabteilungen abgewickelt werden, bei denen ein bestimmtes Markenimage als subjektives Kaufentscheidungskriterium ausgeblendet wird, es sei denn, es kommt gerade auf den Erwerb eines bestimmten Markenartikels (bspw. mit einer bestimmten technischen Qualität) an, der als solcher für den Weiterverkauf im Endkundensegment bestimmt ist. Vertriebsunternehmen, die innerhalb der Marktstufe "Großhandel" angesiedelt sind, werden vornehmlich in der Vertriebsform eines Eigenhändlers organisiert, da diese Vertriebsform bereits aus zivilrechtlicher Sicht für eine klare Strukturierung der Vertriebsaufgaben und rechtliche Abschirmung der Verantwortlichkeiten Sorge trägt und demzufolge einem klaren Funktions- und Risikoprofil dienlich ist. Anzutreffen sind jedoch auch Großhandelstätigkeiten, die auf Kommissionärsbasis erfolgen. Ferner besteht gerade im B2B-Bereich eine sehr transparente Marktlandschaft, so dass der Kundenstamm als Wertschöpfungsfaktor i.d.R. keine große Bedeutung besitzt.
- Zwischenhandel. Vertriebstätigkeiten im Zwischenhandel erfolgen desgleichen regelmäßig im Unternehmenskundenbereich. Im Hinblick auf die konzerninterne Strukturierung von Vertriebstätigkeiten sorgen Zwischenhändler für einen optimierten Marktzugang, indem sie lokal Marktpräsenz zeigen können, sich aufgrund ihrer (zivilrechtlichen) Eigenschaft als Eigenhändler jedoch in gezielter Weise weitere Vertriebspartner im Endkundengeschäft aussuchen. Zwischenhändler kennzeichnen sich regelmäßig durch ein vergleichsweise "schlankes" Funktionsprofil, welches Auswirkungen auf die Unternehmenscharakterisierung hat (s. dazu im Folgenden Rz. 662 ff.). Ihre Aufgabe ist vornehmlich darauf gerichtet, die konzerninterne Absatzorganisation zu optimieren, ohne Endkundenkontakt aufzubauen. Zwischenhändler dienen innerhalb der konzerninternen Vertriebsstruktur daher u.a. der Verbesserung der logistischen Vertriebsvoraussetzungen für den Endkundenvertrieb. Auch bei ihnen ist die ökonomische Bedeutung des Kundenstamms i.d.R. von untergeordneter Bedeutung.
- Einzelhandel. Der Vertrieb von Gütern und Waren im Bereich des Einzelhandels umfasst typischerweise das Endkunden- bzw. Verbrauchergeschäft ("B2C"). Der Vertrieb auf dieser Marktstufe kennzeichnet sich dadurch, dass die Vertriebstätigkeit sich an eine Vielzahl von (potenziellen) Abnehmern richtet. Einzelhandelstätigkeiten können sowohl in der Eigenschaft als Eigenhändler, Kommissionär wie auch als Handelsvertreter betrieben werden...