Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
aa) Bestimmung der Grenzen des Einigungsbereichs
Rz. 1283
Grundsätze zur Bestimmung des Einigungsbereichs in Gewinnfällen. Die nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelten Gewinnpotentiale/finanziellen Überschüsse der verlagerten Funktion bilden die Grundlage für die Ermittlung des Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5. Dieser wird durch den Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt. Maßgeblich ist die Sicht der beiden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter (s. Rz. 227 ff.). Der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens ergibt sich nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FVerlV 2022 (bisher: § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV 2008) aus dem Ausgleich für den Wegfall oder die Minderung der finanziellen Überschüsse zzgl. eventuell anfallender Schließungskosten, falls das übertragende Unternehmen aus der verlagerten Funktion in Zukunft Gewinne zu erwarten hatte. Ohne einen solchen Gewinnausgleich ist die Aufgabe der Funktion aus der Sicht des übertragenden Unternehmens betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen, die das übertragende Unternehmen als unabhängiges Unternehmen hätte, sind nach § 6 Abs. 1 Satz 3 FVerlV 2022 (bisher: § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV 2008) zu berücksichtigen, sodass der maßgebliche Mindestpreis von den weggefallenen Gewinnen im Einzelfall auch abweichen kann. In Substitutionsfällen akzeptiert die Finanzverwaltung beim übertragenden Unternehmen unter den nachstehenden Voraussetzungen einen Mindestpreis von Null:
- Das Produkt wird wegen eines Nachfolgeprodukts auf den bisher hauptsächlich belieferten Märkten nicht mehr abgesetzt;
- Die Verlagerung war erforderlich, um die Produktion eines direkten Nachfolgeprodukts mit höherer Gewinnerwartung im Inland aufnehmen zu können;
- Die für die verlagerte Produktion notwendigen immateriellen Werte, einschließlich des Prozess-Know-hows, werden nicht veräußert, sondern lizenziert.
Richtigerweise fehlt es in diesen Fällen – zumindest im Anwendungsbereich der FVerlV 2008 – aber bereits an einer Funktionsverlagerung, sodass sich die Frage nach der Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5 überhaupt nicht stellt. Der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FVerlV 2022 (bisher: § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV 2008) regelmäßig in den aus seiner Sicht zu erwartenden finanziellen Überschüsse aus der verlagerten Funktion zu erblicken. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen, die das übernehmende Unternehmen als unabhängiges Unternehmen hätte, sind auch in diesem Fall zu berücksichtigen, sodass auch der maßgebliche Höchstpreis von dem ermittelten Gewinnpotential im Einzelfall abweichen kann (§ 6 Abs. 4 Satz 2 FVerlV 2022).
Rz. 1284
Ermittlung des Einigungsbereichs in Liquidations- und Verlustfällen. Ist das übertragende Unternehmen aus rechtlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die verlagerte Funktion mit eigenen Mitteln auszuüben, entspricht der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens nach § 6 Abs. 2 FVerlV 2022 (bisher: § 7 Abs. 2 FVerlV 2008) dem Liquidationswert der nicht mehr benötigten Wirtschaftsgüter. Ein solcher Fall, in dem das verlagernde Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, die Funktion mit eigenen Mitteln auszuüben, kann nach Rz. 3.116 der VWG VP 2023 beispielsweise vorliegen, wenn ein Kunde die Verlagerung zwingend verlangt oder wenn wegen der räumlichen Entfernung zum Markt eine direkte Belieferung durch das verlagernde Unternehmen zukünftig nicht mehr sinnvoll ist. Der Liquidationswert i.S.d. § 6 Abs. 2 FVerlV 2022 ergibt sich aus der Differenz aus dem Liquidationserlös der übertragenen Wirtschaftsgüter und immateriellen Werte abzüglich der damit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden zu tilgenden Schulden und der Schließungskosten; infolgedessen kann der Liquidationswert auch negativ sein. In diesem Fall ist das übertragende Unternehmen letztlich bereit, an das übernehmende Unternehmen eine Abstandszahlung für die übergehende Funktion zu leisten. Unabhängig davon ist nach § 6 Abs. 5 FVerlV 2022 (bisher: § 7 Abs. 5 FVerlV 2008) in den Liquidationsfällen des § 6 Abs. 2 FVerlV 2022 aber stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Verlagert ein Unternehmen eine Funktion, aus der es dauerhaft keine finanziellen Überschüsse zu erwarten hat, ergibt sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens grundsätzlich aus den zu erwartenden Verlusten und den eventuell anfallenden Schließungskosten. Nach § 6 Abs. 3 FVerlV 2022 kann es in solchen Fällen jedoch dem Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters des verlagernden Unternehmens entsprechen, zur Begrenzung von Verlusten als Mindestpreis ein Entgelt für die Funktionsverlagerung akzeptieren, das die anfallenden Schließungskosten nur teilweise deckt, oder eine Ausgleichszahlung an das übernehmende Unternehmen für die Über...