Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 630
Lokalisierung der Funktionsausübung. Besondere Fragestellungen ergeben sich bei der Ausübung von Funktionen im Bereich E-Commerce, die sich vornehmlich auf die Tätigkeitsbereiche Vertrieb und Dienstleistungen beziehen. Werden bspw. Software-Produkte zum Herunterladen aus dem Internet bereitgestellt (Software as a Service) ("SaaS"), so liegt darin eine automatisierte Funktion, die – sofern das Download-Produkt einmal auf dem Download-Server platziert ist und nur bei Software-Updates aktualisiert werden muss – keine weitere Tätigkeit des Anbieters erfordert. In einer derartigen Sachverhaltskonstellation stößt die (klassische) Funktionsanalyse an ihre Grenzen, da sich die eigentlichen Funktionsbeiträge aufgrund des Zwischenschaltens beliebiger Angebotsplattformen in Gestalt von (virtuellen) Internetadressen und (physischen), örtlich nahezu beliebig anzusiedelnden Server-Stationen nicht genau identifizieren und gewichten lassen.
Rz. 631
Reale und virtuell vorhandene Funktionen. Entscheidend ist bei derartigen Sachverhaltskonstellationen, welche ausgeübten Funktionen für das Anbieten derartig automatisierter Tätigkeiten konstitutiv wirken, d.h. die automatisierten Tätigkeiten erst ermöglichen. Die Funktionsanalyse bei virtuellen Unternehmenstätigkeiten hat vor diesem Hintergrund in besonderem Maße wertschöpfungsbezogen zu erfolgen. Das OECD-Diskussionspapier zum Thema E-Commerce und Verrechnungspreise noch aus dem Jahr 2005 scheint in dieser Frage tendenziell eine wertschöpfungsbezogene Betrachtungsweise zu favorisieren, verkörpert allerdings aufgrund seines Alters nicht mehr den aktuellen Stand der Diskussion.
Rz. 632
Besonderheiten digitaler Geschäftsmodelle. Im Hinblick auf die Fragestellung, ob und ggf. inwieweit sich eine Funktions- und Risikoanalyse bei sog. digitalen Geschäftsmodellen von derjenigen bei "tradierten" (d.h. analogen) Geschäftsmodellen unterscheidet, wird weder von der OECD noch von der deutschen Finanzverwaltung beantwortet. Gegenwärtig dreht sich die Diskussion vorwiegend um die grundsätzlichen Fragestellungen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft ("OECD Pillar 1"), die hier nicht näher betrachtet werden kann. Wesentliche Kennzeichnung von digitalen Geschäftsmodellen ist zum einen der hohe Grad an Automatisierung der Unternehmenskernfunktionen sowie eine hohe Vernetzung aller Unternehmensprozesse, auch ggü. dem Markt (d.h. ggü. Zulieferern und Kunden). Im Vordergrund dieser Geschäftsmodelle steht ferner auch die datenbezogene Wertschöpfung. Hierbei ist insbesondere wichtig ausfindig zu machen, wo die entscheidenden Werttreiber ansässig sind: Diese sind regelmäßig in erster Linie die sog. "Significant People Functions" (SPF) sowie die dazugehörigen eingesetzten immateriellen Vermögenswerte (Software, Prozess-Know how, Algorithmen etc.), die für das digitale Geschäftsmodell kernwerttreibend sind. Im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse eines entsprechenden Unternehmens ist daher u.a. besonderes Augenmerk darauf zu legen, wie die SPF die digitalen Geschäftsprozesse beeinflussen und fortentwickeln: So kann bspw. der in § 6 BsGaV niederlegte Gedanke einer Zuordnung von immateriellen Werten bei Betriebsstättensachverhalten auch im Hinblick auf die Frage nach der Funktions- und Risikoanalyse bei digitalen Geschäftsmodellen Anhaltspunkt für die Funktionstiefe und damit für die Wertschöpfungsrelevanz sein: Denn bspw. die Fragestellungen nach der Schaffung einer bestimmten Softwarearchitektur und deren Wartung, Verbesserung und ggf. Anpassung (vgl. dazu den DEMPE-Ansatz, Rz. 2601 ff. u. 2701 ff.) an technologische oder marktbedingte Entwicklungen sind in der Regel mit einem "human impact" in Gestalt entsprechender "SPF" verbunden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit dieser Funktion die ausschließliche Bedeutung im Rahmen eines digitalen Geschäftsmodells zukommen kann. Digitale Geschäftsmodelle in ihren unterschiedlichen Ausprägungen (z.B. Online-Vertrieb, Medien-Streaming, Cloud Servicing, Remote-Software- und Hardware-Wartungen etc.) sind in ihrer Gesamtheit sehr komplex, so dass sie in der Regel nicht auf einen singulären Werttreiber reduziert werden können; sie bestehen aus einer Vielzahl von (wichtigen) Funktionen und eingesetzten immateriellen Vermögenswerten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die OECD und die deutsche Finanzverwaltung bei personalfunktionslosen Betriebsstätten – d.h. im Hinblick auf eine automatisierte, ggf. digital organisierte Unternehmenstätigkeit – ein Abweichen vom Grundmaßstab einer sich an den SPF orientierenden Zuordnung von Wirtschaftsgütern zulassen wollen.
Auch die Frage nach der Risikozuordnung bedarf daher einer sehr differenzierten Betrachtungsweise. Hierbei sollten die tradierten Grundsätze der Funktions- und Risikoanalyse Anwendung finden, jedoch immer unter Berücksichtigung spezifischer Merkmale digitaler Geschäftsmodelle. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang u.a. betont, dass aufgrund ...