Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
„ [6] Die Möglichkeit, einen Ausgleichsposten nach § 4g des Einkommensteuergesetzes zu bilden, wird nicht eingeschränkt.”
Rz. 2888
Verhältnis zur sog. Entstrickungsbesteuerung. § 1 Abs. 5 Satz 6 nimmt auf den Ausgleichsposten nach § 4g EStG Bezug. Die Vorschrift des § 4g EStG wurde mit dem SEStEG v. 7.12.2006 eingefügt, um unionsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die allgemeinen Entstrickungsregelung begegnen. Sie mildert in Fällen, in denen ein Wirtschaftsgut infolge der Zuordnung zu einer Betriebsstätte im EU-Ausland nach den Vorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG steuerlich als entstrickt gilt (Rz. 2816), die mit der Aufdeckung der stille Reserven entstehende Steuerbelastung dergestalt, dass ein Ausgleichsposten in Höhe der stillen Reserven gebildet werden kann, der den Aufdeckungsgewinn neutralisiert. Dieser Ausgleichsposten ist über fünf Jahre gewinnerhöhend aufzulösen (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG) und wird gewinnneutral aufgelöst, wenn die Zuordnungsänderung des Wirtschaftsguts innerhalb der Fünfjahresfrist wieder aufgehoben wird (§ 4g Abs. 3 Satz 1 EStG). § 4g EStG erlaubt also die aufgeschobene Besteuerung des mit einer Zuordnung zu einer EU-Betriebsstätte verbundenen Entstrickungsgewinns und beeinhaltet zudem die Möglichkeit, die mit einer Zuordnungsänderung eines Wirtschaftsguts verbundenen Steuerfolgen zumindest teilweise rückgängig zu machen.
Zum grundsätzlichen Verhältnis der nebeneinander stehenden Vorschriften des § 1 Abs. 5 einerseits und der § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG andererseits vgl. Rz. 2816 f. Beide Vorschriften sind nicht deckungsgleich, dürften in vielen Fällen aber gleichzeitig dem Grunde nach anwendbar sein. Geht man davon aus, dass die allgemeinen Entstrickungsregelungen innerhalb der Steuerbilanz anzuwenden sind, sind diese einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 grundsätzlich vorgelagert, womit Letzteren in Überschneidungsfällen ggf. eine Wertauffüllerfunktion zukommt (Rz. 2817, 2865, 245). Da die Rechtsfolge des § 4g EStG wohl innerhalb der Steuerbilanz zu ziehen ist, ist grundsätzlich denkbar, dass die konkrete Gewinnauswirkung einer Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zwar zunächst durch einen Ausgleichsposten i.S.d. § 4g EStG neutralisiert wird, die Anwendung von § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Sätze 1 und 4 die Wirkung des § 4g EStG aber auf der Korrekturebene der zweistufigen Gewinnermittlung durch eine entsprechend höhere Korrektur vollständig kompensiert. § 1 Abs. 5 Satz 6 soll dies vermeiden und die Vergünstigung des § 4g EStG auch in Fällen der parallelen Anwendung des AOA erhalten. Diese Klarstellung ist zu begrüßen. Allerdings ist die konkrete Formulierung der Vorschrift ungeschickt gewählt. Schließlich hindert die Anwendung von § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Sätze 1 und 4 auch ohne § 1 Abs. 5 Satz 6 den Stpfl. nicht daran, einen Ausgleichsposten i.S.d. § 4g EStG zu bilden; dessen Wirkung könnte jedoch anschließend durch eine entsprechende Korrektur ausgehebelt werden. § 1 Abs. 5 Satz 6 muss daher so verstanden werden, dass im Fall der Bildung eines Ausgleichspostens nach § 4g EStG dessen Wert nicht einer gegenläufigen Korrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 unterworfen werden soll. Dies bestätigt auch die Regierungsbegründung zum JStG 2013, der zufolge "die Vergünstigung des § 4g EStG [...] nicht auf Grund des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 4 AStG entfallen [soll]".
§ 4g EStG ist grundsätzlich nur insoweit anwendbar, wie die Rechtsfolge der allgemeinen Entstrickungsregelungen reicht. Eine mögliche weitergehende Rechtsfolge nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 ist demgegenüber nicht vom Anwendungsbereich des § 4g EStG umfasst. Insbesondere regelt § 1 Abs. 5 Satz 6 auch keine erweiterte Anwendung von § 4g EStG, sondern stellt lediglich klar, dass § 4g EStG durch den AOA nicht eingeschränkt wird.