Leitsatz
1. Eine Regelung des hamburgischen Rechts, dass elektronische Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 SigG zu versehen sind, "sofern für Einreichungen die elektronische Form vorgeschrieben ist", dahin auszulegen, dass eine formwirksame Klageerhebung per E-Mail die qualifizierte elektronische Signatur erfordert, verletzt Bundesrecht nicht.
2. Ist für den Rechtsverkehr per E-Mail die die Schriftform ersetzende qualifizierte elektronische Signatur vorgeschrieben, so reicht es bei deren Fehlen nicht aus, dass sich aus der E-Mail oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Die Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zum Computerfax ist auf solche Fälle nicht entsprechend anzuwenden.
Normenkette
§ 52a, § 64 FGO, § 2, § 3 ERVV HA 2008
Sachverhalt
Eine Klage war unsigniert per E-Mail bei der elektronischen Poststelle des FG Hamburg eingegangen. Erst einige Tage später wurde das vom FG festgestellt und der Kläger darauf hingewiesen, dass die von ihm erhobene Klage nicht mit einer Signatur versehen und wegen dieses Formmangels nicht wirksam erhoben worden sei. Der Kläger beantragte daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, er habe keine Kenntnis von den Anforderungen an eine elektronische Klageeinreichung gehabt. Insbesondere werde auf der Webseite des Gerichts eine E-Mail-Adresse ausdrücklich für Zwecke des elektronischen Gerichtsverkehrs angegeben, ohne dass zugleich auf das Erfordernis einer elektronischen Signatur hingewiesen werde. Durch diese Webseite habe er die E-Mail-Adresse des Gerichts bekommen und von der Möglichkeit der Klageerhebung per E-Mail erfahren.
Entscheidung
Die Klage ist elektronisch nicht formwirksam erhoben worden. Wiedereinsetzung ist nicht zu gewähren, weil der Kläger nicht ohne Verschulden über die Erforderlichkeit einer elektronischen Signatur im Unklaren war. Vorinstanz: FG Hamburg, Urteil vom 30.03.2010, 6 K 93/08 (Haufe-Index 2342197, EFG 2010, 1333).
Hinweis
§ 52a Abs. 1 S. 3 FGO verlangt, dass für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes vorzuschreiben ist. Die konkreten Anforderungen an die formwirksame Übermittlung eines elektronischen Dokuments an das Gericht ergeben sich danach allerdings erst aus der (hier landesrechtlichen) Durchführungsverordnung. Denn wie der BFH bereits entschieden hat, ergibt sich für den Bürger allein aus § 52a Abs. 1 FGO keine Pflicht zur Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur (BFH, Beschluss vom 30.03.2009, II B 168/08, BFH/NV 2009, 1037).
Hamburg hat in seiner ERVV HA 2008 in § 2 Abs. 3 S. 1 vorgeschrieben, dass elektronische Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes zu versehen sind, "sofern für Einreichungen die elektronische Form vorgeschrieben ist".
Diese Regelung ist wortwörtlich genommen unsinnig, weil die elektronische Form niemals vorgeschrieben ist. FG und BFH haben sie korrigierend dahin ausgelegt, dass die Signatur erforderlich ist, wenn von der Möglichkeit der elektronischen Form Gebrauch gemacht wird.
Musste der Kläger das erkennen? Viel verlangt. Aber er hatte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem FG verplappert und sinngemäß eingeräumt, ihm sei bei der Form der Klageerhebung selbst nicht ganz wohl gewesen, weil er sich über die Anforderungen an die elektronische Übermittlung nicht informiert hatte. Daraus haben ihm FG und BFH einen Strick gedreht.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.07.2011 – VII R 30/10