Leitsatz
1. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstandene, aber bereits während seiner Dauer begründete Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners unterliegen weiterhin dem Insolvenzbeschlag, falls mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Nachtragsverteilung vorbehalten worden ist.
2. Für solche dem Insolvenzbeschlag weiterhin unterliegenden Ansprüche gelten die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote.
Normenkette
§ 218 Abs. 2 AO, § 35 Abs. 1, § 80 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 203 Abs. 1 InsO
Sachverhalt
Ein über das Vermögen eines Schuldners eröffnetes Insolvenzverfahren war im Juli 2006 aufgehoben, eine Nachtragsverteilung hinsichtlich vor und während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründeter Ansprüche auf Steuererstattungen vorbehalten worden.
Als später insbesondere ein Einkommensteuererstattungsanspruch für vorgenanntes Jahr festgesetzt wurde, rechnete das FA mit Insolvenzforderungen auf. Der Insolvenzverwalter verlangt hingegen 7/12 des Erstattungsbetrages und die Erteilung eines Abrechnungsbescheids hierüber. Dies lehnte das FA mit der Begründung ab, das Insolvenzgericht habe die Nachtragsverteilung nicht angeordnet und der Verwalter sei nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr am Steuerfestsetzungs- bzw. Steuererhebungsverfahren beteiligt.
Entscheidung
Der BFH hat die antragsgemäße Verurteilung des FAdurch das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 16.12.2010, 10 K 15202/09, Haufe-Index 2661935, EFG 2011, 1307) bestätigt.
Hinweis
1. Wenn der Insolvenzverwalter die Zugehörigkeit von Ansprüchen zur Insolvenzmasse aufgrund einer durchzuführenden Nachtragsverteilung und die Zahlung des entsprechenden Betrags an die Insolvenzmasse beansprucht, kann er verlangen, dass darüber durch Abrechnungsbescheid entschieden wird. Das gilt auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, wenn gerade die Zugehörigkeit nachträglich entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Insolvenzmasse und mithin die Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters im Streit ist.
2. Ein Rechtsgrund für eine Erstattung von Einkommensteuer wird mit der Leistung von Vorauszahlungen gelegt, denn bereits in diesem Zeitpunkt erlangt der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Erstattung der Vorauszahlungen unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer ist als die Summe der Vorauszahlungen. Deshalb handelt es sich bei einem solchen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während desselben in dieser Weise begründeten Anspruch um Insolvenzmasse, auch wenn die Veranlagung erst nach dem Insolvenzverfahren durchgeführt wird.
Der Insolvenzbeschlag endet allerdings grundsätzlich mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Wird jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet, so besteht die Insolvenzbeschlagnahme i.S.d. § 80 Abs. 1 InsO fort. Das Gleiche gilt, wenn die Nachtragsverteilung bestimmter Vermögensgegenstände vorbehalten wird, obgleich die nachträgliche Verteilung dieser Gegenstände noch eine weitere Anordnung des Insolvenzgerichts erfordert. Der Insolvenzschuldner erlangt also trotz der Verfahrensbeendigung die Verfügungsbefugnis über diese Gegenstände nicht wieder.
Folglich gelten hinsichtlich solcher Ansprüche auch die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO. Danach ist eine Aufrechnung unzulässig, soweit Ansprüche während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet worden sind (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
3. Was die Aufteilung der notwendigerweise für das Jahr festgesetzten Einkommensteuer auf die Zeit vor und nach Einstellung des Insolvenzverfahrens angeht, hatte es der BFH gewissermaßen einfach, weil diese Frage weitgehend auf tatsächlichem Gebiet liegt und der BFH sich daher gem. § 118 Abs. 2 FGO mit dem vom FG angesetzten Teil (7/12 für sieben Monate) abfinden konnte (obwohl das freilich eine sehr grobe und deshalb rechtlich anfechtbare Aufteilung darstellt, welche aber die Notwendigkeit einer schwierigen "Schattenveranlagung" mit einer zeitlichen Zuordnung aller einkommensteuerrechtlich relevanten Vorgänge pragmatisch vermeidet).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.2.2012, VII R 36/11