Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Der Abschluss eines Integrierten Versorgungsvertrags nach §§ 140a ff. SGB V (sog. IV-Verträge) zwischen dem Berufsverband der Heileurythmisten und einer gesetzlichen Krankenkasse stellt ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Ausbildung und Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar.
2. Eine weitergehende Prüfung der Vergleichbarkeit der Ausbildung und Tätigkeit des Heileurythmisten mit der eines Krankengymnasten/Physiotherapeuten ist aufgrund der indiziellen Wirkung der Teilnahmeberechtigung an den Leistungen der sog. IV- Verträge nicht erforderlich.
Normenkette
§ 18 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 2 Abs. 1 GewStG, §§ 140a ff., § 124 Abs. 2 SGB V, § 4 Nr. 14 UStG
Sachverhalt
Die Klägerin war als Heileurythmistin tätig. Sie war Mitglied des Berufsverbandes Heileurythmie e.V. (Berufsverband). Nach dessen Satzung konnte nur Mitglied werden, wer ein Abschlusszeugnis für Eurythmie und Heileurythmie/Eurythmie-Therapie und eine Berufsqualifikation nach den Richtlinien des Berufsverbandes erworben hatte.
Weder die Klägerin noch der Berufsverband waren nach § 124 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen zugelassen worden.
Anfang 2006 schlossen 12 gesetzliche Krankenkassen mit dem Berufsverband Verträge zur Durchführung integrierter Versorgung mit anthroposophischer Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (sog. IV‐Verträge). Aufgrund der IV‐Verträge übernahmen diese Krankenkassen die Kosten für ärztlich verordnete und durch anerkannte Therapeuten erbrachte Leistungen der Heileurythmie als Heilmittel. Der Berufsverband bescheinigte der Klägerin nach Überprüfung der Teilnahmevoraussetzungen, dass sie an den IV-Verträgen teilnehmen konnte.
Das FA erließ gegen die Klägerin einen Gewerbesteuermessbescheid, da es die Auffassung vertrat, dass sie nicht freiberuflich i.S.d. § 18 EStG, sondern gewerblich tätig geworden sei. Die hiergegen erhobene Klage (Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.4.2015, 13 K 50/14, Haufe-Index 8576500, EFG 2015, 1826) hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hat der Revision und Klage der Klägerin stattgegeben. Nach seiner Auffassung erzielte sie Einkünfte gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit als Heileurythmist war dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlich.
Hinweis
1. Die steuerrechtliche Einordnung der Tätigkeit von Heileurythmisten beschäftigt den BFH seit Jahren. Während sich bei der Umsatzsteuer die Frage stellt, ob eine steuerfreie Heilbehandlung i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG vorliegt, ist bei der Einkommensbesteuerung streitig, ob gewerbliche oder freiberufliche Einkünfte i.S.d. § 18 EStG vorliegen.
2. Die vorliegende Entscheidung des BFH ist insofern interessant, als bei der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung der Einkünfte eines Heileurythmisten als freiberuflich – ausnahmsweise – die Entscheidungsgründe eines BFH-Urteils zur Umsatzsteuerfreiheit übernommen werden.
Zwar ist der Normzweck des § 4 Nr. 14 UStG, der auf die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer abstellt und dessen Auslegung auf Unionsrecht beruht, für die ertragsteuerliche Beurteilung der heil- oder heilhilfsberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG grundsätzlich ohne Bedeutung. Im vorliegenden Fall waren jedoch die Ausführungen in den BFH-Urteilen vom 26.7.2017 (BFH, Urteil vom 26.7.2017, XI R 3/15, BFH/NV 2017, 1692, BFH/PR 2018, 7) und vom 8.3.2012 (BFH, Urteil vom 8.3.2012, V R 30/09, BFH/NV 2012, 1275, BFH/PR 2012, 281) zum Nachweis der beruflichen Qualifikation auf der Grundlage von integrierten Versorgungsverträgen nach den §§ 140a ff. SGB V, die zur Steuerfreiheit der Leistungen des Heileurythmisten nach § 4 Nr. 14 UStG führen, auf die Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG übertragbar. Grund hierfür ist, dass weder auf eine Entlastung der Sozialversicherungsträger abgestellt wird noch die unionsrechtlichen Vorgaben zu § 4 Nr. 14 UStG den von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG widersprechen.
3. Zwar übt der Heileurythmist keinen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausdrücklich genannten Katalogberufe aus. Der BFH hat es jedoch – der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung folgend – als ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG angesehen, wenn der Heileurythmist durch seinen Berufsverband zur Erbringung von Leistungen der anthroposophischen Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (IV-Verträge) zugelassen wird.
Hierdurch wird sichergestellt, dass der Erbringer der Heilleistung bestimmte Anforderungen erfüllt, sodass eine fachgerechte Berufsausübung gewährleistet ist. Denn die Durchführung der Behandlung darf nur von einem hierfür entsprechend den gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § ...