Prof. Dr. Georg Schnitter
4.2.1 Allgemeines
Rz. 48
Der Gewerbeverlust eines Personenunternehmens kann bei vorliegender Unternehmeridentität nach § 10a GewStG nur abgezogen werden, wenn der Gewerbebetrieb im Abzugs- und im Entstehungsjahr identisch ist. Der Gewerbeverlust muss in demselben Gewerbebetrieb, dessen Gewerbeertrag gekürzt werden soll, entstanden sein (Unternehmensidentität). Entsprechendes gilt bei bestehender Unternehmeridentität auch bei Körperschaften. Bei ihnen kommt es aber für die Frage des Verlustabzugs nach § 10a GewStG regelmäßig nicht auf die Unternehmensidentität an, da sie grundsätzlich gegeben ist. Dies deshalb, weil die Tätigkeit einer Körperschaft stets und in vollem Umfang nach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG als Gewerbebetrieb gilt.
Rz. 49
Das Erfordernis der Unternehmensidentität ist aus dem Objektsteuercharakter der GewSt herzuleiten. Mit dem Objektsteuercharakter der GewSt ist es nicht vereinbar, Verluste eines Unternehmens bei einem anderen Unternehmen zu berücksichtigen. Gesetzestechnisch folgt das Erfordernis der Unternehmensidentität aus der sachlichen Selbstständigkeit eines jeden Gewerbebetriebs i. S. v. §§ 2 bzw. 35a GewStG.
Rz. 50
Beurteilungsmaßstab dafür, ob zwischen dem Gewerbebetrieb im Abzugs- und im Entstehungsjahr Unternehmensidentität besteht, ist der sachliche, insbesondere der wirtschaftliche, organisatorische und finanzielle Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten im Entstehungs- und im Abzugsjahr. Es gelten insoweit dieselben Grundsätze, die auch für die Beantwortung der Frage maßgebend sind, ob mehrere gewerbliche Betätigungen, die ein Unternehmer gleichzeitig oder nacheinander ausübt, verschiedene sachlich selbstständige Gewerbebetriebe darstellen oder ob sie einen einheitlichen Gewerbebetrieb bilden. Maßgebend ist dabei unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall. Ein kleinlicher Maßstab ist bei der Beurteilung nicht anzulegen. Im Übrigen ist für die Beurteilung auch die Identität der eingesetzten sächlichen Mittel maßgebend.
Rz. 51
Beurteilungskriterien sind z. B.:
- die Art der gewerblichen Betätigung,
- der Kunden- und Lieferantenkreis,
- die Arbeitnehmerschaft,
- die Geschäftsleitung,
- die Organisation des betrieblichen Rechnungswesens,
- der Umfang, die Zusammensetzung und die Finanzierung des Aktivvermögens und
- die Organisation des Einkaufs von Waren und Betriebsmitteln.
Die Kriterien sind einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu gewichten.
Rz. 52
Bedeutsam für die Beantwortung der Frage, ob zwischen dem Gewerbebetrieb im Abzugs- und im Entstehungsjahr Unternehmensidentität besteht, ist insbesondere die Gleich- bzw. Ungleichartigkeit der gewerblichen Betätigung. Auch bei ungleichartigen Tätigkeiten kann ein einheitlicher Gewerbebetrieb anzunehmen sein, sofern die jeweiligen gewerblichen Tätigkeiten sachlich, insbesondere wirtschaftlich, organisatorisch und finanziell zusammenhängen. Bestehen Verflechtungen der genannten Art zwischen den einzelnen gewerblichen Tätigkeiten nicht, können umgekehrt auch bei gleichartigen gewerblichen Tätigkeiten sachlich selbstständige Gewerbebetriebe vorliegen. Von untergeordneter Bedeutung für die Entscheidung sind demgegenüber z. B. Veränderungen in der Geschäftsleitung sowie im betrieblichen Rechnungswesen oder bei der Finanzierung des Aktivvermögens. Gleiches gilt für das Kriterium der räumlichen Nähe von Betriebsteilen. Bei der Beurteilung, ob ein einheitlicher Gewerbebetrieb vorliegt, hat die etwaige Geringfügigkeit der gewerblichen Aktivität keine Bedeutung. An der Unternehmensidentität fehlt es z. B. beim Übergang von einem Produktions- und Vertriebsunternehmen zu einem reinen Verpachtungsunternehmen, sofern nicht die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung gegeben sind. Gleiches gilt, wenn ein zunächst angepachtetes Produktions- und Vertriebsunternehmen mit eigenen Wirtschaftsgütern fortgeführt wird, jedoch nicht – wie zuvor – auf einem eigenen, sondern auf einem angepachteten Grundstück. Ebenfalls an der Unternehmensidentität fehlt es beim Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts und einer Fotovoltaikanlage, wenn der erzeugte Strom in vollem Umfang an den örtlichen Energieerzeuger abgegeben wird.
Rz. 53
Der Unternehmensidentität steht die strukturelle Anpassung von Betrieben an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten nicht entgegen. Das Kriterium der Unternehmensidentität rechtfertigt es nicht, bei wirtschaftlich sinnvollen Anpassungsmaßnahmen den Verlustabzug nach § 10a GewStG zu versagen. So steht z. B. der Verkauf eines Betriebsgrundstücks mit anschließender Verlegung des Gewerbebetriebs an einen anderen Ort der Annahme der Unternehmensidentität nicht entgegen, wenn dies Ausdruck der Anpassung des Unternehmens an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten ist. Gleiches kann bei einem Branchenwechsel in Betracht kommen. Voraussetzung ist aber immer, dass der alte und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise identisch sind.