Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen
3.1 Allgemeines
Rz. 72
§ 1 Abs. 1 KStG definiert die unbeschränkte Steuerpflicht für die in den Nrn. 1–6 aufgeführten Körperschaftsteuersubjekte. Die unbeschränkte Steuerpflicht knüpft danach an zwei Anknüpfungspunkte an, die alternativ vorliegen müssen. Dies sind Geschäftsleitung und Sitz. Es genügt für die unbeschränkte Steuerpflicht somit, wenn sich Geschäftsleitung oder Sitz im Inland befinden.
Rz. 72a
Durch den alternativen Anknüpfungstatbestand von Geschäftsleitung oder Sitz im Inland wird eine "Doppelansässigkeit" möglich. In diesem Fall besteht in einem Staat die Geschäftsleitung, in dem anderen Staat befindet sich der Sitz. Folge ist, dass die Körperschaft in beiden Staaten unbeschränkt steuerpflichtig ist. Besteht kein DBA, bleibt es bei der Doppelbesteuerung, soweit diese nicht im Einzelfall durch die Anrechnungsmethode vermieden werden kann (d. h. Anrechnung der ausl. Steuer, die auf die ausl., nicht aber auf die inländischen Einkünfte entfällt). Besteht ein DBA, wird die Doppelbesteuerung regelm. durch die "tie breaker rule" entspr. Art. 4 Abs. 2, 3 OECD-MA vermieden. Das Recht auf unbeschränkte Besteuerung steht danach dem Staat zu, in dessen Territorium sich die Geschäftsleitung befindet; das Recht auf unbeschränkte Besteuerung des Staats des Satzungssitzes tritt demgegenüber zurück.
Rz. 73
Beschränkte Steuerpflicht kann daher nur vorliegen, wenn sich sowohl Sitz als auch Geschäftsleitung im Ausland befinden.
3.2 Die einzelnen Anknüpfungspunkte
3.2.1 Geschäftsleitung
Rz. 74
§ 10 AO definiert die Geschäftsleitung als "Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung". Die Feststellung, wo sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet, richtet sich nach den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall. Die geschäftliche Oberleitung wird regelm. an dem Ort ausgeübt, an dem der für die Geschäftsführung und Betriebsleitung maßgebliche Wille tatsächlich gebildet wird und die für das Unternehmen wichtigen Entscheidungen getroffen, nicht dagegen wirksam werden. Das sind im Allgemeinen die Büroräume des maßgeblichen Geschäfts- bzw. Betriebsleiters. Maßgebend ist, wo die kaufmännischen Entscheidungen getroffen werden. Auf die technische Leitung des Betriebs kommt es nicht an. Sind zur Ausübung der geschäftlichen Oberleitung eines Unternehmens Büroräume nicht erforderlich und nicht vorhanden, so kann der Wohnsitz des leitenden Geschäftsführers als Ort der Geschäftsleitung angesehen werden.
Rz. 75
Im Einzelfall kann die tatsächliche Geschäftsleitung eines Rechtsgebildes auch in Händen anderer als der zu seiner gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung gesetzlich berufenen Personen (Vorstand, Geschäftsführer) liegen. Der Besitz sämtlicher oder der meisten Kapitalanteile reicht jedoch nicht aus, um am Wohnsitz oder geschäftlichen Aufenthaltsort des Allein- bzw. Hauptgesellschafters den Ort der Geschäftsleitung des entsprechenden Rechtsgebildes anzunehmen. Das gilt selbst dann, wenn sich die meisten und wichtigsten Geschäftsvorfälle des Rechtsgebildes am Wohnsitz oder geschäftlichen Aufenthaltsort des Anteilsinhabers abspielen.
Rz. 76
Unbeachtlich ist auch, wenn ein Gesellschafter sein Recht wahrnimmt, dem Geschäftsführer Anweisungen und Ratschläge zu erteilen hinsichtlich der Verminderung der Kosten und der Erzielung eines möglichst günstigen Geschäftsergebnisses. Auch darf er Anweisungen über die allgemeine Art der abzuwickelnden Geschäfte geben; denn es ist Ausfluss des Machtbereichs eines Gesellschafters, wenn er den laufenden Geschäftsgang beobachtet, kontrolliert und fallweise beeinflusst.
Rz. 77
Beschränkt sich dagegen der beherrschende Gesellschafter nicht auf den Einfluss aus seinen Gesellschaftsrechten, sondern spricht er bei wichtigen Geschäften selbst das entscheidende Wort, sodass er als "Seele und Kopf" der Geschäftsführung anzusehen ist und die gesetzlichen Vertreter nur seine ausführenden Organe sind, liegt die geschäftliche Oberleitung bei diesem Gesellschafter. Insbes. wenn der Gesellschafter ständig in den gewöhnlichen Geschäftsverkehr eingreifen kann und eingreift, wenn er sich dauernd über die einzelnen Geschäfte auf dem Laufenden halten lässt und die Abwicklung der laufenden Geschäfte durch seine Entscheidungen maßgebend beeinflusst, übt er die Geschäftsleitung selbst aus. Diese Grundsätze gelten auch für den Fall einer Organschaft i. S. d. §§ 14ff. KStG.
Rz. 78
Die Annahme mehrerer örtlich begrenzter Geschäftsleitungen für ein körperschaftstpfl. Gebilde ist nach tradierter Ansicht mit dem Sinn des Begriffs Geschäftsleitung in § 1 Abs. 1 KStG nicht vereinbar. Nach der jüngeren Rechtsprechung sind allerdings mehrere Mittelpunkte der geschäftlichen Oberleitung möglich, was aber nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt.
Rz. 79
Bes. Anlass zur Prüf...