Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 28
Keine Regelung enthält das KStG für die Fälle, in denen der Sitz und/oder die Geschäftsleitung einer ausländischen Körperschaft in das Inland verlegt wird und dadurch unbeschränkte Steuerpflicht eintritt.
Zivilrechtlich hat die Sitztheorie (vgl. Rz. 6) zur Folge, dass eine ausländische Körperschaft, die ihr Gesellschaftsstatut durch Verlegung des Verwaltungssitzes (der Geschäftsleitung) in das Inland ändert, ihre Qualität als Rechtssubjekt verliert. Sie kann nur dadurch Rechtsfähigkeit erlangen, dass sie nach den inländischen Vorschriften neu gegründet wird. Zivilrechtlich ist die (frühere) ausländische Körperschaft im Inland existent als nichtrechtsfähige, nicht handlungsfähige körperschaftliche Organisation, die grundsätzlich abgewickelt werden muss; mit der im Inland neu zu gründenden Körperschaft ist sie nicht identisch. Handelt es sich bei der ausländischen Gesellschaft jedoch um die Gesellschaft eines EU-Staates, greifen die Grundsätze von EuGH v. 5.11.2002 (C-208/00, IStR 2002, 809 — Überseering) ein. Danach darf der inländische Staat einer ausländischen Gesellschaft, die der Sitzstaat selbst als rechtsfähig behandelt, nicht die Rechtsfähigkeit absprechen (vgl. Rz. 6c). Das gilt auch bei einer Sitzverlegung. Wenn der Gründungsstaat die Gesellschaft also trotz Sitzverlegung als rechtsfähig ansieht, muss dies auch der Zuzugsstaat tun.
Rz. 29
Steuerrechtlich ist diese Frage jedoch von geringer Bedeutung. Für die Frage der Steuerrechtsfähigkeit folgt das Steuerrecht nicht dem Zivilrecht, wie schon § 1 Abs. 1 Nr. 5 zeigt, wonach auch nichtrechtsfähige Körperschaften und Vermögensmassen Steuerrechtssubjekt sein können. Ausländische Körperschaften, die im Inland Sitz und/oder Geschäftsleitung haben, sind daher unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, auch wenn sie zivilrechtlich keine Rechtsfähigkeit besitzen. Einzige Voraussetzung ist, dass die ausländische Körperschaft nach ihrem Typus einer inländischen Körperschaft entspricht. Steuerrechtlich wird man daher davon ausgehen müssen, dass die Körperschaft vor und nach der Verlegung der Geschäftsleitung identisch ist; die Steuerrechtssubjektivität ändert sich nicht, was sich ändert ist nur die Art der Steuerpflicht (beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht). M.E. kann daher § 12 Abs. 2 (Übertragung der Betriebsstätte auf ein anderes Rechtssubjekt) nicht auf diese Fälle angewandt werden.
Rz. 30
Mit Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht hat die ausländische Körperschaft eine steuerliche Eröffnungsbilanz aufzustellen, in der sie die Wirtschaftsgüter mit den Teilwerten anzusetzen hat. Dadurch wird vermieden, dass stille Reserven, die vor dem Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht gebildet worden sind, der inländischen Besteuerung unterliegen. Dies gilt jedoch nicht für Wirtschaftsgüter, die schon vor Verlegung der Geschäftsleitung im Inland eine Betriebsstätte gebildet haben. Unabhängig von der Frage, ob die Körperschaft nach dem Zuzug aus dem Ausland zivilrechtlich eine juristische Person ist oder nicht, bleibt sie doch Körperschaftsteuersubjekt (und sei es als nichtrechtsfähige körperschaftliche Organisation). Es hat also keine Übertragung des Vermögens der Betriebsstätte stattgefunden; daher ist kein Gewinnrealisierungstatbestand erfüllt. Auch § 12 Abs. 2 greift nicht ein, da das Vermögen der Betriebsstätte nicht „als Ganzes auf einen anderen” übertragen worden ist. Vor allem ist der Fall nicht mit der Einbringung der Betriebsstätte in eine inländische Schwestergesellschaft vergleichbar (vgl. Rz. 25).
Rz. 31
Allerdings ändert die inländische Betriebsstätte ihren steuerlichen Status von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht. Zur korrekten Abgrenzung der unter die (frühere) beschränkte und die (jetzige) unbeschränkte Steuerpflicht fallenden Gewinne sind daher die Teilwerte der Wirtschaftsgüter formlos festzuhalten, um im Falle eines Gewinnrealisierungstatbestands die richtigen steuerlichen Konsequenzen ziehen zu können.