2.2.1.1 Allgemeines
Rz. 89
Für die Sitzverlegung (zum Begriffsverständnis siehe Rz. 89a) einer Körperschaft vom Inland in einen anderen Staat (und zwar seit Streichung des Abs. 3 durch das KöMoG sowohl für eine Sitzverlegung in einen anderen EU-/EWR-Staat als auch in einen Drittstaat) enthält das KStG keine besondere Regelung. Vielmehr gilt allgemein § 12 Abs. 1 KStG. Das bedeutet, dass eine Sitzverlegung insoweit zur Versteuerung der stillen Reserven durch den Ansatz des gemeinen Werts führt, als das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Für die Sitzverlegung einer Körperschaft enthält § 12 Abs. 1 KStG damit eine Regelung, die steuerrechtlich von der zivilrechtlichen Frage der Sitz- oder Gründungstheorie losgelöst ist. Jedoch ist danach zu unterscheiden, ob der statuarische Sitz und/oder die Geschäftsleitung in einen EU-/EWR-Staat verlegt werden. Wird nur die Geschäftsleitung in das Ausland verlegt, der inländische Sitz aber beibehalten, gilt § 12 Abs. 1 KStG. Unabhängig davon, welche zivilrechtliche Theorie anwendbar ist, knüpft das Steuerrecht eine etwaige Besteuerung nur an den Verlust des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts. Wird dagegen der statuarische Sitz verlegt, ist dies, von SE und SCE abgesehen, nur durch Auflösung und Neugründung der Körperschaft möglich. Die steuerlichen Folgen bestimmen sich dann nach der Liquidationsbesteuerung gemäß § 11 KStG.
Rz. 89a
Der Ausdruck "Sitzverlegung" hat sich für diese Fälle eingebürgert, ist aber insoweit unrichtig, als eine Verlegung des Satzungssitzes in das Ausland regelmäßig nicht möglich ist. Dies würde nämlich voraussetzen, dass die Körperschaft im Handelsregister ihres Gründungsstaats gelöscht und im Handelsregister ihres Zuzugsstaats eingetragen wird. Das ist, soweit ersichtlich, gegenwärtig in keinem Staat möglich. Eine Ausnahme gilt nur für die SE, bei der nach Art. 8 Abs. 1 SE-VO, bzw. für die SCE, bei der nach Art. 7 Abs. 1 SCE-VO eine Verlegung des Satzungssitzes möglich ist (Rz. 92). Der Ausdruck "Sitzverlegung" stammt aus dem Internationalen Privatrecht, das bei dem "Sitz" zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz unterscheidet. Verwaltungssitz ist als Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung definiert. Unter "Sitzverlegung" ist daher die Verlegung des Verwaltungssitzes, und damit der Geschäftsleitung, zu verstehen.
Rz. 90
Europarechtlich wird die Sitzverlegung (neben der grenzüberschreitenden Verschmelzung und Spaltung) von der Fusionsrichtlinie (FRL) erfasst. Art. 4ff. FRL regelt die grenzüberschreitende Verschmelzung und Spaltung und in den Art. 12ff. FRL die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE und der SCE, nicht jedoch entsprechende Vorgänge bei nationalen Gesellschaftsformen. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE bzw. SCE darf nach Art. 12 Abs. 1 FRL keine Besteuerung von Veräußerungsgewinnen auslösen für Vermögen, "das in der Folge tatsächlich einer Betriebsstätte der SE bzw. der SCE in dem Mitgliedsstaat, von dem der Sitz verlegt wurde, zugerechnet bleibt, und das zur Erzielung des steuerlich zu berücksichtigenden Ergebnisses beiträgt". Die grenzüberschreitende Sitzverlegung ist danach nur insoweit steuerneutral, als das Vermögen einer inl. Betriebsstätte der wegziehenden Körperschaft zugeordnet werden kann ("Betriebsstättenbedingung", zum Begriff Betriebsstätte in diesem Sinne siehe Rz. 94ff.).
Rz. 91
Für die Sitzverlegung der SE bzw. SCE bedeutet dies, dass keine Besteuerung eintritt, wenn die Wirtschaftsgüter weiterhin zu einer inl. Betriebsstätte gehören; es gilt also im Wesentlichen die "Betriebsstättenbedingung". § 12 Abs. 1 KStG geht allerdings insoweit über die Vorgaben der FRL hinaus, als diese Regelung für die Sitzverlegung aller Körperschaften gilt, also nicht nur für die Sitzverlegung der SE und der SCE. Die Regelung zur Sitzverlegung in § 12 Abs. 1 KStG ist damit unabhängig von der Rechtsform der Körperschaft. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass bei anderen Rechtsformen als der SE und der SCE die Verlegung des statuarischen Sitzes regelmäßig zur Auflösung und Neugründung der Gesellschaft führt (außer bei ausländischen Gesellschaften, deren Gesellschaftsstatut eine echte Sitzverlagerung zulässt), also eine Liquidationsbesteuerung auslöst. § 12 Abs. 1 KStG mit der "Betriebsstättenbedingung" ist daher insoweit nur auf die Verlegung der Geschäftsleitung anwendbar.
Rz. 92
Im Gegensatz zu den in Rz. 11ff. erörterten Fällen ist die Sitzverlegung nicht notwendig mit der Verlagerung von Wirtschaftsgütern verbunden. Eine Sitzverlegung kann erfolgen, ohne dass ein Wirtschaftsgut in einen anderen Staat überführt wird. Trotzdem kann sich das Besteuerungsrecht auch bei einer solchen Sitzverlegung ändern, da hierdurch die beschränkte Steuerpflicht an die Stelle der unbeschränkten Steuerpflicht treten kann. Es sind folgende Fallgruppen zu unterscheiden: