Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 528
Für die Prüfung der Vereinbarkeit der Vorschrift mit höherrangigem Recht bzw. dem Recht der DBA sind Regelungsgrund und Reichweite der Vorschrift zu bestimmen. Hinsichtlich des Zwecks der Regelung besteht eine überraschende Diskrepanz zwischen der Begründung der Gesetzentwürfe und dem Wortlaut der Vorschrift, wie er schließlich vom Parlament verabschiedet worden ist. Die ursprüngliche Fassung der Vorschrift aufgrund des Gesetzes v. 20.12.2001 wurde mit der Zulassung von doppelt ansässigen Organträgern begründet. Nach dem Wortlaut galt die Vorschrift aber für alle Organträger; eine Begrenzung auf doppelt ansässige Organträger war der Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Verschärfung der Vorschrift durch das Gesetz v. 20.2.2013 in der ursprünglichen Fassung des von den Regierungsfraktionen eingebrachten Entwurfs, die der letztlich Gesetz gewordenen Fassung entspricht, und die damit verbundene Ausdehnung auf negative Einkünfte der Organgesellschaften wurde damit begründet, dass nach der Neuregelung auch eine Organgesellschaft doppelt ansässig sein könne. Wiederum enthielt der Gesetzeswortlaut aber keine Beschränkung auf diese Fälle. Der Finanzausschuss erkannte diese Diskrepanz zwischen Regelungsgrund und Gesetzeswortlaut und änderte den Gesetzesvorschlag dahingehend, dass die Vorschrift nur gelten solle, wenn sich der Satzungssitz des unbeschränkt steuerpflichtigen Organträgers oder der unbeschränkt steuerpflichtigen Organgesellschaft nicht im Inland befindet. Die Regelung war damit konsequent auf doppelt ansässige Gesellschaften beschränkt und erfasste negative Einkünfte von Organträgern und Organgesellschaften nicht, die Sitz und Geschäftsleitung im Inland haben; Gleiches galt für Organträger, die weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland haben. Außerdem wurden Verluste, die in einem EU- oder EWR-Staat steuerlich berücksichtigt worden waren, zur Vermeidung europarechtlicher Probleme aus der Regelung ausgeklammert. In dieser Fassung hat der Bundestag das Gesetz am 25.10.2012 verabschiedet. In der Sitzung des Bundesrats am 23.11 2012 hatten die Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg beantragt, der Bundesrat möge den Vermittlungsausschuss anrufen, um die im ursprünglichen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen des Bundestags enthaltene Fassung des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG, die der endgültig Gesetz gewordenen Fassung entspricht, wieder herzustellen. Begründet wurde dies damit, die ursprüngliche Fassung dehne "den an sich selbstverständlichen Gedanken, dass sich ein Verlust nicht mehrfach in verschiedenen Staaten steuerlich auswirken darf (weil schließlich auch Gewinne nicht doppelt besteuert werden), folgerichtig auch auf negative Einkünfte der Organgesellschaft aus". Diese Regelung sei auch nicht europarechtswidrig, da sie gleichermaßen für gebietsansässige als auch gebietsfremde Organgesellschaften gelte. Der Bundesrat hat diesen Antrag jedoch nicht angenommen, sondern den Gesetzentwurf abgelehnt. Nachdem die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss angerufen hatte, wurde ein Vermittlungsergebnis erzielt, das der ursprünglich von den Regierungskoalitionen im Bundestag eingebrachten Fassung und dem Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg entsprach. Diese Fassung ist durch Zustimmung von Bundestag und Bundesrat Gesetz geworden.
Rz. 528a
Angesichts dieser Gesetzeshistorie ist es schwierig, einen überzeugenden Regelungsgrund für die Vorschrift zu finden. Sowohl der Zusammenhang der Einführung und der Erweiterung der Vorschrift mit der gleichzeitigen Zulassung von doppelt ansässigen Organträgern und Organgesellschaften als auch die damit im Zusammenhang stehenden Gesetzesbegründungen sprechen dafür, dass bei doppelt ansässigen Organträgern und Organgesellschaften eine besondere Gefahr einer doppelten Verlustverrechnung gesehen wurde und diese eingeschränkt werden sollte. Der Gesetzeswortlaut enthält insoweit aber keine Einschränkung; insbesondere die ausdrückliche Ablehnung der entsprechenden Einschränkungen in der Sitzung des Vermittlungsausschusses am 12.12.2012 spricht gegen den Zusammenhang mit der doppelten Ansässigkeit. Entsprechend der Begründung des Antrags der Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg muss daher angenommen werden, dass mit der weiten Fassung der Vorschrift die doppelte Verlustverrechnung schlechthin, also ohne Beschränkung auf doppelt ansässige Gesellschaften, verhindert werden soll. Dann ist aber nicht zu erklären, wieso die Regelung auf Organträger und Organgesellschaft beschränkt wurde. Eine doppelte Verlustverrechnung ist in gleicher Weise bei einer Organschaft als auch außerhalb einer Organschaft möglich. Eine Beschränkung auf Organschaften ergibt nur dann Sinn, wenn man in einer Organschaft eine besondere Gefahr die Inanspruchnahme der doppelten Verlustverrechnung sieht. Diese besondere Gefahr kann, entsprechend dem Wesen der Organschaft, nur darin gesehen werden, dass infolge der Zusammenfas...