Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 713
Das Gesetz enthält keine Legaldefinition des Begriffs der Minder- oder Mehrabführungen. § 14 Abs. 4 S. 6 KStG kann nicht als Legaldefinition für § 14 Abs. 3 KStG herangezogen werden, da Abs. 4 S. 6 eindeutig nur auf Abs. 4 S. 1 verweist, nicht aber auf Abs. 3.
Jedoch ist der Begriff "Mehrabführung" bzw. "Minderabführung", der außer in § 14 Abs. 3 und 4 KStG auch in § 27 Abs. 6 KStG verwendet wird, im Zusammenhang mit einer Organschaft auch ohne Legaldefinition eindeutig definierbar. Mit "Abführung" kann nur die Gewinnabführung aufgrund des Gewinnabführungsvertrags gemeint sein. Die Höhe dieser Gewinnabführung ergibt sich aus dem handelsrechtlichen Jahresüberschuss. Das "Mehr" oder "Minder" bezieht sich auf einen Vergleich, der nur anhand des Steuerbilanzgewinns vollzogen werden kann. Eine Mehrabführung liegt danach vor, wenn der handelsrechtlich nach dem Gewinnabführungsvertrag abgeführte Jahresüberschuss der Organgesellschaft höher ist als das Ergebnis der Organgesellschaft nach der Steuerbilanz. Eine Minderabführung liegt demgemäß vor, wenn die Vermögensmehrung nach der Steuerbilanz höher ist als der handelsrechtlich abgeführte Jahresüberschuss. Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut der Begriffe der "Mehrabführung" bzw. "Minderabführung" und ist daher einheitlich für Abs. 3 und 4 sowie § 27 Abs. 6 KStG. Die Begriffe der Mehr- und Minderabführung können nicht deshalb unterschiedlich ausgelegt werden, weil es sich bei Abs. 3 um vororganschaftliche, bei Abs. 4 um organschaftliche Vorgänge handelt.
M.E. gilt dies auch für den Begriff der Minder- und Mehrabführungen nach § 27 Abs. 6 KStG. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, wieso diese Begriffe abweichend von den in § 14 Abs. 3, 4 KStG verwendeten Begriffen ausgelegt werden sollen.
Rz. 714
Eine Minder- oder Mehrabführung liegt daher vor, wenn der an den Organträger abgeführte Jahresüberschuss von dem Steuerbilanzergebnis der Organgesellschaft abweicht. Dies entspricht der Definition in § 14 Abs. 4 S. 6 KStG, auch wenn diese Definition wegen der Beschränkung ihrer Wirkungen auf § 14 Abs. 4 S. 1 KStG keine Legaldefinition für alle Fälle der Minder- und Mehrabführungen ist. Die Formulierung in § 14 Abs. 4 S. 6 KStG, wonach es auf die Differenz zwischen abgeführtem Gewinn und Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft ankommt, ist allerdings insoweit ungenau, als weder ein "Gewinn" handelsrechtlich abgeführt wird noch ein "Steuerbilanzgewinn" entsteht. Der "Gewinn" bzw. "Steuerbilanzgewinn" ist nämlich sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz durch die Ergebnisabführung gemindert und beträgt regelmäßig 0. Gemeint sind das "abgeführte Ergebnis" (statt "abgeführter Gewinn") und der Bilanzgewinn vor Berücksichtigung der Ergebnisabführung (statt "Steuerbilanzgewinn"). Dagegen ist der Begriff "insbesondere" in § 14 Abs. 4 S. 6 KStG nur auf die Fälle des Abs. 4, nicht auf die des Abs. 3 zu beziehen. Im Rahmen des Abs. 4 kann es also Minder- und Mehrabführungen geben, die nicht genau der Definition dieser Abführungen entsprechen.
Für Abs. 3 gilt dies dagegen nicht, da sich das Wort "insbesondere" nicht auf Abs. 3 bezieht. Für eine von dem Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung fehlt bei Abs. 3 daher die Rechtsgrundlage.
Rz. 715
Eine Minder- oder Mehrabführung ergibt sich, von den Ausnahmefällen im Rahmen des Abs. 4 abgesehen, als rein rechnerisch ermittelter Differenzbetrag zwischen handelsrechtlicher Ergebnisabführung und Steuerbilanzergebnis. Da es für den Begriff der Minder- und Mehrabführungen auf das Verhältnis des handelsrechtlichen Ergebnisses, das aufgrund des Gewinnabführungsvertrags an den Organträger abgeführt wird, zum Steuerbilanzergebnis der Organgesellschaft ankommt, ist ein tatsächlicher Vermögensabfluss oder -zufluss bei der Organgesellschaft nicht Voraussetzung.
Eine Mehrabführung ist nicht auf den Betrag des handelsrechtlich abgeführten Ergebnisses begrenzt. Daher kann eine Mehrabführung auch bei einem negativen Ergebnis der Organgesellschaft vorliegen, wenn das abgeführte handelsrechtliche Ergebnis höher (der Negativbetrag also geringer) als das Steuerbilanzergebnis ist.
Eine Mehrabführung kann daher auch in einer Minderverlustübernahme liegen, wenn der handelsrechtlich ausgewiesene und von dem Organträger übernommene Verlust der Organgesellschaft geringer ist als das negative Steuerbilanzergebnis der Organgesellschaft, das dem Organträger im Rahmen der Einkommenszurechnung zugeordnet wird. Auch in diesem Fall liegt wirtschaftlich eine Vermögensübertragung von der Organgesellschaft auf den Organträger vor.
Entsprechendes gilt für eine Minderabführung.
Beispiele:
(1) Handelsrechtlich weist die Organgesellschaft einen operativen Gewinn von 100 aus, der aber durch Bildung einer Drohverlustrückstellung von 200 zu einem Verlust von 100 wird. Dieser wird von dem Organträger übernommen. Aufgrund des Nichtansatzes der Rückstellungen in der Steuerbilanz beträgt die steuerliche Vermögensmehrung der Organgesellschaft +1...