Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 116
Die Körperschaftsteuer eines Veranlagungszeitraumes entsteht als eine einheitliche Steuerschuld. Ihrer Rechtsnatur nach setzt sie sich jedoch aus zwei uneinheitlichen Teilen zusammen, die jeweils einen anderen Steuergegenstand besteuern.
Soweit die Körperschaftsteuer auf der durch Ausschüttungen nicht beeinträchtigten Tarifbelastung (vgl. Rz. 48) beruht, ist Steuergegenstand das in dem betreffenden Veranlagungszeitraum erzielte Einkommen der Körperschaft. Rechtfertigender Grund für diese Besteuerung ist die Leistungsfähigkeit der Körperschaft. Auf der von ihr im Veranlagungszeitraum erzielten Vermögensmehrung lastet die Tarifbelastung als eine der Vermögensmehrung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angemessene Steuerbelastung.
Rz. 117
Soweit die Körperschaftsteuer eines Veranlagungszeitraumes jedoch durch ausschüttungsbedingte Körperschaftsteueränderungen erhöht oder vermindert ist, ist sowohl Steuergegenstand als auch rechtfertigender Grund für die Besteuerung ein anderer. Die Ausschüttungsbelastung hat keinen Zusammenhang mehr mit dem Einkommen des jeweiligen Veranlagungszeitraumes. In welchem Umfang Körperschaftsteuerminderungen und -erhöhungen eintreten, richtet sich nicht nach dem in diesem Veranlagungszeitraum erzielten Einkommen (vgl. Rz. 52). Besteuert wird vielmehr eine bestimmte Ausschüttung der Körperschaft. Die ausschüttungsbedingte Körperschaftsteueränderung ist ein eigenständiger Besteuerungstatbestand ("Besteuerungstatbestand sui generis"), der nicht von einem in diesem Veranlagungszeitraum erzielten (positiven) Einkommen abhängt. Eine Verbindung zum Einkommen, und damit zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Körperschaft, besteht nur insoweit, als die Körperschaftsteuerminderungen und -erhöhungen beim Herstellen der Ausschüttungsbelastung aus der Tarifbelastung des verwendeten Eigenkapitals abgeleitet werden, und damit aus der Belastung des Einkommens früherer und des laufenden Veranlagungszeitraums.
Rz. 118
Die Ausschüttungsbelastung ist daher auch kein ermäßigter Steuersatz, der auf das Einkommen oder Teile des Einkommens anzuwenden wäre; eine unmittelbare Beziehung zum gegenwärtigen Einkommen besteht nicht. Bemessungsgrundlage der ausschüttungsbedingten Körperschaftsteueränderungen sind das nach der Ausschüttungsreihenfolge des § 28 Abs. 3 für die Ausschüttung verwendete Eigenkapital und die hierauf ruhende Tarifbelastung. Damit wird zwar eine mittelbare Verbindung zum Einkommensbegriff hergestellt, da sich die Tarifbelastung aus früherem Einkommen ergeben haben muss; es wird aber weder festgestellt, in welchem Veranlagungszeitraum noch aufgrund welcher Einkommensteile sie im Einzelnen entstanden ist.
Rechtfertigender Grund für die Besteuerung ist damit auch nicht die von der Körperschaft im Veranlagungszeitraum erzielte Vermögensmehrung und ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Eine Körperschaftsteuerminderung tritt nicht deshalb ein, weil die Körperschaft weniger leistungsfähig ist; eine Körperschaftsteuererhöhung tritt nicht deshalb ein, weil die Leistungsfähigkeit der Körperschaft gestiegen ist. Rechtfertigender Grund für die Herstellung der Ausschüttungsbelastung ist vielmehr die Anrechnungsberechtigung des Anteilsinhabers. Weil der Anteilsinhaber eine Körperschaftsteuer in Höhe von 3/7 der Ausschüttung auf seine Körperschaftsteuerschuld anrechnen kann, muss diese Steuer auf der Ebene der Kapitalgesellschaft erhoben werden. Rechtsgrund der ausschüttungsbedingten Körperschaftsteueränderungen ist also die gestiegene Leistungsfähigkeit des Anteilseigners. Die Ausschüttungsbelastung fließt dem Anteilseigner wirtschaftlich über die Minderung seiner Steuerschuld als Teil der Ausschüttung zu, in Höhe der Ausschüttungsbelastung ist seine Leistungsfähigkeit erhöht. Liegt die Tarifbelastung der Körperschaft über der Ausschüttungsbelastung, ist der Zugang an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Anteilsinhaber geringer als die Steuerbelastung der Körperschaft, da bei ihm nur die Ausschüttungsbelastung angerechnet wird; es tritt also auf der Ebene der Körperschaft eine Körperschaftsteuerminderung ein, um die Belastung in Übereinstimmung mit dem Zugang an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Anteilsinhaber zu bringen. Im umgekehrten Fall, in dem die Tarifbelastung unter der Ausschüttungsbelastung liegt, gilt Entsprechendes. Die Belastung der Körperschaft ist geringer als der Zugang an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Anteilsinhaber durch die Anrechnung der Ausschüttungsbelastung; dies wird durch die Körperschaftsteuererhöhung bei der Körperschaft in Übereinstimmung gebracht.
Rz. 119
Untypisch an dieser rechtlichen Konstruktion ist, dass die ausschüttungsbedingte Körperschaftsteueränderung der Körperschaft durch den Zugang an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Anteilsinhaber, einem anderen Steuerrechtssubjekt, begründet wird. Dies ist zu rechtfertigen, da die Körperschaft den Vermögenswert der Anrechnung bei der Ausschüttungspolitik berücksichtigen ...