Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 32
Die Frage, mit welchem verwendbaren Eigenkapital "andere Ausschüttungen" zu verrechnen waren, war bis zum Vz 1983 nicht ausdrücklich geregelt. Die Antwort konnte jedoch aus der in § 29 Abs. 2 enthaltenen Regelung über die zeitliche Abgrenzung des verwendbaren Eigenkapitals abgeleitet werden, und zwar für die im Laufe eines Wirtschaftsjahres beschlossenen Vorabausschüttungen aus § 29 Abs. 2 S. 2, für die übrigen "anderen Ausschüttungen" (insbesondere die verdeckten Gewinnausschüttungen) aus § 29 Abs. 2 S. 3. Nach beiden Regelungen trat für "andere Ausschüttungen", dem Wortlaut des Gesetzes nach, die Rechtsfolge ein, dass sie gegen das verwendbare Eigenkapital zum Schluss des der Ausschüttung vorangehenden Wirtschaftsjahres zu verrechnen waren.
Rz. 33
Diese Art der Verrechnung konnte, bei Fehlen eines Bestandes an verwendbarem Eigenkapital, dazu führen, dass die "anderen Ausschüttungen" durch Kumulation von Tarif- und Ausschüttungsbelastung mit Körperschaftsteuer in Höhe von 112,25 % belastet waren (zur Belastung nach der Neuregelung vgl. Rz. 22).
vEK am 1.1.01 — alle Teilbeträge |
0,00 |
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Gewinn = erklärtes Einkommen 01 |
0,00 |
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verdeckte Gewinnausschüttung |
100,00 |
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Einkommen |
100,00 |
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KSt (zu dem damaligen Steuersatz von 56 %) |
56,00 |
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Entwicklung des verwendbaren Eigenkapitals:
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EK 56 |
EK 02 |
Summe |
Anfangsbestand 1.1.01 |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
vGA 01 |
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./. 100,00 |
./. 100,00 |
KSt-Erhöhung: 9/16 × 100 |
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./. 56,25 |
./. 56,25 |
Zugang Einkommen 01: 100 ./. 56 |
44,00 |
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44,00 |
Stand 31.12.01 |
44,00 |
./. 156,25 |
./. 112,25 |
Körperschaftsteuerbelastung: |
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Tarifbelastung des Einkommens |
56,00 |
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Körperschaftsteuererhöhung |
56,25 |
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Körperschaftsteuer 01 |
112,25 |
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Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Körperschaftsteuerbelastung von 112,25 % nicht um eine Definitivbelastung handelte, weil der Körperschaftsteuererhöhungsbetrag von 56,25 % sofort als Anrechnungsguthaben an den Anteilseigner vermittelt werden konnte. Außerdem führte die Tarifbelastung auf die verdeckte Gewinnausschüttung zu einem positiven belasteten Eigenkapital, mit dem eine künftige Ausschüttung finanziert, das darauf ruhende Anrechnungsguthaben also genutzt werden konnte. Da jedoch die Belastung mit Körperschaftsteuer zu einem Fehlbetrag im Bilanzvermögen führte, war eine solche Ausschüttung — ordnungsgemäßes Ausschüttungsverhalten vorausgesetzt — nur möglich, wenn die Ausschüttungsblockade des EK 56 infolge des Fehlens eines ausschüttbaren Bilanzvermögens durch eine entsprechende Einlage aufgehoben wurde. Zur Finanzierung einer verdeckten Gewinnausschüttung konnte das vorhandene, wenn auch blockierte belastete Eigenkapital aber immer genutzt werden.
Rz. 34
Der in § 29 Abs. 2 Sätze 2 und 3 KStG a. F. vorgesehene Verrechnungsmodus entsprach zweifellos dem tatsächlichen Geschehensablauf. Das verwendbare Eigenkapital ist zum Schluss eines Wirtschaftsjahres festzustellen. Ist für ein Wirtschaftsjahr eine "andere Ausschüttung" (Vorabausschüttung, verdeckte Gewinnausschüttung) bewirkt worden, ist der Ausschüttungsbetrag bereits im Laufe des Wirtschaftsjahres aus dem verwendbaren Eigenkapital ausgeschieden; sie kann daher nicht mehr im verwendbaren Eigenkapital zum Schluss dieses Wirtschaftsjahres enthalten sein.
Da aber die Verrechnung der "anderen Ausschüttungen" mit dem verwendbaren Eigenkapital zum Beginn des Wirtschaftsjahres zu Belastungen von 112,25 % und zu einem entsprechend hohen Liquiditätsentzug führen konnte, hat diese Regelung im Fachschrifttum heftige Kritik ausgelöst; als besonders unbefriedigend wurde dabei die Verrechnung der Vorabausschüttungen empfunden, da diese auf einem ordnungsgemäßen Gewinnverteilungsbeschluss beruhen. Der BFH (v. 26.5.1982, I B 24/81, BB 1982, 1352) hatte ernsthafte Zweifel an der Verrechnung der Vorabausschüttungen mit dem verwendbaren Eigenkapital zum Beginn des Ausschüttungsjahres geäußert.
Rz. 35
Durch das StÄndG 1984 ist die Verrechnung der "anderen Ausschüttungen" so geändert worden, dass die ausschüttungsbedingten Körperschaftsteueränderungen aus dem verwendbaren Eigenkapital zu ermitteln sind, das auf den Schluss des Ausschüttungsjahres festgestellt wurde, nicht mehr aus dem auf den Anfang festgestellten Eigenkapital (vgl. Rz. 12). Die geänderte Fassung des Gesetzes war nach § 54 Abs. 1 KStG 1984 auf Antrag rückwirkend auf alle Vz ab 1977 anzuwenden, soweit die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen war.