1.1 Systematische Stellung und Zweck der Vorschrift

 

Rz. 1

§ 29 enthält eine der grundlegenden Vorschriften des Anrechnungsverfahrens, materiell-rechtlich hat sie aber nur eine Hilfsfunktion. Sie knüpft an die §§ 27, 28 an. Diese Vorschriften regeln das materielle Grundprinzip des Anrechnungsverfahrens, nämlich die Herstellung der Ausschüttungsbelastung; § 27 ordnet Körperschaftsteuererhöhungen und -minderungen an, § 28 enthält die erforderlichen Regelungen zur zeitlichen Abgrenzung der Körperschaftsteueränderungen. Diese Vorschriften haben insofern materielle Bedeutung, als sie unmittelbar auf die Höhe der Körperschaftsteuerschuld eines Veranlagungszeitraums einwirken. § 29 enthält dagegen keine solchen unmittelbaren materiellen Regelungen; es handelt sich um eine Hilfsvorschrift, die die Durchführung der Körperschaftsteueränderungen der §§ 27, 28 ermöglichen soll. Die Herstellung der Ausschüttungsbelastung setzt die Kenntnis der steuerlichen Belastung der einzelnen Teile des Eigenkapitals voraus; diese Kenntnis wird geschaffen durch eine Gliederung des Eigenkapitals entsprechend seiner steuerlichen Belastung bzw., beim EK 0, entsprechend sonstiger für das Anrechnungsverfahren wichtiger Faktoren.

 

Rz. 2

§ 29 enthält die Definition des Eigenkapitals in Abs. 1 und die Definition des verwendbaren Eigenkapitals sowie die Regelung der Aufteilung des Eigenkapitals in das verwendbare und das übrige Eigenkapital in Abs. 2. Die Vorschrift enthält damit die Grundlage für die Gliederung des Eigenkapitals. Die §§ 30—38b knüpfen hieran an; sie enthalten Einzelregelungen, wie das verwendbare Eigenkapital zu gliedern ist. Abs. 3 enthält schließlich besondere Regelungen für die Bestimmung des verwendbaren und des übrigen Eigenkapitals für den Fall der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln.

 

Rz. 3

Der Inhalt des § 29, die Definition des Begriffs des Eigenkapitals und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten ergeben sich aus der besonderen Funktion, die § 29 zu erfüllen hat[1]. Die steuerliche Belastung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum ergibt sich aus dem Einkommen als Grundlage der Besteuerung. Das Anrechnungsverfahren setzt aber an der Ausschüttung an. Beide Begriffe, Einkommen und Ausschüttung, sind grundsätzlich unabhängig voneinander; weder kann man aus der Ausschüttung unmittelbar das Einkommen noch umgekehrt aus dem Einkommen unmittelbar die Ausschüttung ableiten. Die Aufgabe des § 29 besteht darin, als Bindeglied zwischen beiden Begriffen zu dienen, d. h. entweder vom Einkommen ausgehend, unter Einbeziehung sonstiger relevanter Faktoren, die nicht im Einkommen enthalten sind (wie z. B. steuerfreie Vermögensmehrungen, Einlagen), das ausschüttbare Vermögen zu bestimmen und damit die Verbindung zur Ausschüttung herzustellen, oder umgekehrt, von der Ausschüttung ausgehend, unter Berücksichtigung nicht ausschüttbarer Einkommensteile (wie z. B. nicht abzugsfähige Ausgaben) den Zusammenhang mit dem Einkommen zu suchen. Dabei ermöglicht es die Verwendungsfiktion des § 28 Abs. 3, von der Zuordnung zu einzelnen Wirtschaftsjahren/Veranlagungszeiträumen abzusehen. Sowohl die Definitionen des § 29 als auch die in diesem Zusammenhang entstehenden Einzelfragen sind von dieser Funktion des § 29 aus zu beurteilen.

 

Rz. 4

Nach Abs. 1 ist zunächst das gesamte Eigenkapital zu ermitteln. Absatz 2 grenzt das für Ausschüttungen verwendbare Eigenkapital sachlich von dem übrigen Eigenkapital ab. Rein schematisch stellt sich diese Grobeinteilung wie folgt dar:

Diese Einteilung des Eigenkapitals in verwendbares Eigenkapital und übriges Eigenkapital ist aus der geschilderten Funktion des § 29 zu verstehen. Beide Begriffe sind nur im Bereich des Anrechnungsverfahrens verwendbar; weder im Handelsrecht der Kapitalgesellschaft noch im Bereich der steuerrechtlichen Einkommensermittlung sind diese Begriffe sinnvoll verwendbar. Die Unterscheidung wird allein danach ­getroffen, ob ein Eigenkapitalteil nach den Regeln des Anrechnungsverfahrens zur Ausschüttung verwendbar ist oder nicht. Ob dieser Eigenkapitalteil handelsrechtlich ausschüttbar ist, spielt dabei keine Rolle; da die Bedürfnisse des Anrechnungsverfahrens und die Notwendigkeit der Verbindung von Einkommen und Ausschüttung dominieren, werden sogar Beträge einbezogen, die streng genommen gar nicht zum Eigenkapital gehören (Korrekturposten, vgl. Rz. 55). Die Begriffe "verwendbares Eigenkapital" und "übriges Eigenkapital" sind deshalb nicht identisch mit Begriffen wie Nennkapital, Kapital- und Gewinnrücklagen, Gewinn und Verlust, obwohl natürlich gewisse Beziehungen zwischen diesen Begriffen bestehen.

 

Rz. 5

Die grundlegende Bedeutung, die das verwendbare Eigenkapital für das Anrechnungsverfahren hat, führt verfahrensrechtlich dazu, dass seine Teilbeträge zum Ende jedes Wirtschaftsjahres gesondert festgestellt werden (vgl. § 47).

[1] Vgl. auch Raupach, FR 1978, 570, 575.

1.2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 6

§ 29 ist ab Vz 1984 durch das StEntlG 1984 v. 22.12.1983[1] geändert worden. Dabei handelte es sich um redaktionelle Änderungen oder Folgeänderungen, die wegen der Änderun...

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