Prof. Dr. Gerrit Frotscher
2.2.1 Begriff der Steuerbilanz
Rz. 8
Nach Abs. 1 ist das Eigenkapital aus der Steuerbilanz abzuleiten, obwohl es eine Steuerbilanz in strengem rechtlichen Sinne als eigenständige Bilanz nicht gibt. Nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit (vgl. Frotscher, EStG, § 5 Rz. 26ff.) ist Grundlage der Besteuerung die Bilanz, die aus der ordnungsmäßigen Buchführung abgeleitet wird, und damit die Handelsbilanz. Lediglich in den Fällen, in denen die Handelsbilanz Ansätze enthält, die zwar den handelsrechtlichen, nicht aber den steuerrechtlichen Vorschriften entsprechen, sind Anpassungen an die steuerlichen Bestimmungen erforderlich. Diese Anpassungen können in einer "Steuerbilanz" vorgenommen werden, möglich ist aber auch, wie es § 60 Abs. 2 S. 1 EStDV vorsieht, die handelsrechtlichen Ansätze durch Zusätze oder Anmerkungen in der Handelsbilanz den steuerlichen Vorschriften anzupassen (vgl. Rz. 10).
Rz. 9
Die wesentlichen Abweichungen der Steuerbilanz von der Handelsbilanz sind die folgenden (vgl. ausführlich Frotscher, EStG, § 5 Rz. 27a):
- handelsrechtliche Bilanzierungshilfen dürfen steuerlich nicht angesetzt werden;
- Beteiligungen an Personengesellschaften sind steuerlich mit dem Ergebnis der gesonderten Gewinnfeststellung zu bilanzieren;
- handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte sind steuerlich Aktivierungsgebote, handelsrechtliche Passivierungswahlrechte (z. B. Aufwandsrückstellungen) sind Passivierungsverbote;
- die Bildung und Bewertung von Rückstellungen ist steuerlich durch § 5 Abs. 3, 4, 4a, 4b, § 6 Abs. 3a und § 6a EStG eingeschränkt;
- bei der Bewertung können sich Abweichungen insbesondere bei den Abschreibungen ergeben (z. B. unterschiedliche Abschreibungsdauer der Firmenwerte).
Rz. 10
Enthält die Handelsbilanz nur Ansätze oder Beträge, die den steuerlichen Vorschriften entsprechen, übernimmt sie voll die Funktion einer Steuerbilanz, ohne im eigentlichen Wortsinn eine solche zu sein. Das Eigenkapital kann daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ohne weiteres aus ihr abgeleitet werden.
Enthält die Handelsbilanz Ansätze und Beträge, die den steuerlichen Vorschriften nicht entsprechen, bieten sich folgende Möglichkeiten:
- § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV: Die Abweichungen sind in statistischer Form neben der auf dem Buchführungswerk beruhenden Bilanz durch Zusätze und Anmerkungen den steuerlichen Vorschriften anzupassen. Bei Ermittlung des Eigenkapitals ist das aus der Handelsbilanz abgeleitete Eigenkapital um das sich aus den Zusätzen und Anmerkungen ergebende Mehr- oder Wenigervermögen zu korrigieren.
- § 60 Abs. 2 Satz 2 EStDV: Der Steuerpflichtige stellt ohne gesetzliche Verpflichtung eine Steuerbilanz, d. h. eine den steuerlichen Vorschriften entsprechende Vermögensübersicht auf. Aus dieser Steuerbilanz kann das Eigenkapital unmittelbar abgeleitet werden.
2.2.2 Eigenkapital nach der Steuerbilanz
Rz. 11
Das Eigenkapital (Betriebsvermögen) nach der Steuerbilanz wird ermittelt als Unterschiedsbetrag zwischen Rohvermögen (in der Steuerbilanz aktivierte Positionen, d. h. i. d. R. Wirtschaftsgüter/Vermögensgegenstände) einerseits und Sonderposten mit Rücklageanteil, Schulden (einschließlich Rückstellungen) und passiven Rechnungsabgrenzungsposten der Steuerbilanz andererseits (Einzelheiten zur Ermittlung des Eigenkapitals vgl. Rz. 16ff.).
Die Bindung des Eigenkapitals i.S.d. § 29 an das Betriebsvermögen der Steuerbilanz anstatt an die Handelsbilanz ist notwendig, nicht nur zweckmäßig. Zwar knüpfen die Ausschüttungen (die den Mechanismus des Anrechnungsverfahrens in Gang setzen) an das ausschüttbare Vermögen der Handelsbilanz an; die Körperschaftsteuer, und damit das vorhandene Anrechnungsguthaben, basiert aber auf der Steuerbilanz. Eine richtige Erfassung des Anrechnungsguthabens, und damit eine Grundbedingung des Anrechnungsverfahrens, ist nur auf der Grundlage der Steuerbilanz möglich. Indem das Gesetz (zutreffend) der richtigen Erfassung des Anrechnungsguthabens (Steuerbilanz) vor der richtigen Erfassung des ausschüttbaren Vermögens (Handelsbilanz) Vorrang einräumt, nimmt es in Kauf, dass handelsrechtliches Ausschüttungsvolumen von der Höhe des verwendbaren Eigenkapitals abweicht. Das führt dazu, dass steuerlich verwendbares Eigenkapital ausgeschüttet werden kann, obwohl handelsrechtlich kein Ausschüttungsvolumen vorhanden ist (z. B. bei verdeckten Gewinnausschüttungen), aber auch, dass handelsrechtlich auf Grund eines ordnungsmäßigen Gewinnverteilungsbeschlusses Gewinn ausgeschüttet wird, obwohl steuerlich kein verwendbares Eigenkapital vorhanden ist (Abwicklung über § 35).
Rz. 11a
Die Höhe des Eigenkapitals hängt damit davon ab, welche aktiven und passiven Wirtschaftsgüter und Bilanzpositionen, die nicht den Charakter von Wirtschaftsgütern haben, in der Steuerbilanz bilanziert werden. Wegen des Grundsatzes der Maßgeblichkeit hängt dies wiederum in gewissem Umfang von der Bilanzierung in der Handelsbilanz ab. Dieser grundsätzliche Zusammenhang des Eigenkapitals der Gliederungsrechnung mit dem nach der Steuerbilanz ist durch § 29 Abs. 1, wonach Eigenkapita...