Prof. Dr. Gerrit Frotscher
2.1 Fehlendes verwendbares Eigenkapital
Rz. 3
§ 35 findet nur Anwendung, wenn und soweit verwendbares Eigenkapital (einschließlich EK 04) für eine Ausschüttung nicht zur Verfügung steht. Es kann sich dabei um Fälle handeln, in denen nur ein Teil der Ausschüttung aus dem verwendbaren Eigenkapital finanziert werden kann, oder um Fälle, in denen es überhaupt an verwendbarem Eigenkapital fehlt. Die Ausschüttung ist in erster Linie entsprechend der Reihenfolge des § 28 Abs. 3 gegen sämtliche Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals zu verrechnen, also auch gegen das EK 04. Das ist deshalb bedeutsam, weil es bei einer Finanzierung aus dem EK 04 nicht zu einer Köperschaftsteuererhöhung kommt (vgl. § 40 Nr. 1 a. F.; § 40 Nr. 2 n. F.), andererseits eine solche Ausschüttung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht zu den Einnahmen gehört und demgemäß auch keine Körperschaftsteueranrechnung erfolgt. Entsprechendes gilt für Ausschüttungen aus dem EK 01, für das ab Vz 1994 keine Körperschaftsteuererhöhung mehr eintritt (§ 40 Nr. 1 n. F.). Erst wenn daneben noch ein nicht aus dem verwendbaren Eigenkapital finanzierbarer Rest übrigbleibt, ist § 35 anwendbar.
Das verwendete Eigenkapital reicht auch dann nicht für eine Ausschüttung aus, wenn überhaupt kein Eigenkapital vorhanden ist. § 35 ist also sowohl in dem Fall anwendbar, daß die Ausschüttung das vorhandene verwendbare Eigenkapital übersteigt, als auch in dem Fall, daß ein verwendbares Eigenkapital überhaupt nicht vorhanden ist.
Bei der Prüfung, ob genügend verwendbares Eigenkapital vorhanden ist, ist zu berücksichtigen, daß einerseits bei einer Ausschüttung aus dem EK 56/EK 50/EK 45 eine Körperschaftsteuerminderung eintritt, die das zur Ausschüttung zur Verfügung stehende Eigenkapital erhöht, andererseits bei EK-Teilbeträgen, die nicht belastet sind (EK 01—03 bis Vz 1993; EK 02, EK 03 ab Vz 1994), eine Körperschaftsteuererhöhung eintritt, die das zur Verfügung stehende verwendbare Eigenkapital mindert; lediglich bei dem EK 04 und, ab Vz 1994, bei dem EK 01 kommt es nicht zu einer solchen Erhöhung (vgl. das Beispiel in Rz. 8).
Für Gewinnausschüttungen im ersten Wirtschaftsjahr einer neu gegründeten Anrechnungskörperschaft ist § 35 nicht anzuwenden, soweit EK 04 zur Verfügung steht (vgl. § 30 Abs. 3).
Rz. 4
Bedeutsam ist die Frage, ob auch dann für die Gewinnausschüttung verwendbares Eigenkapital fehlt, wenn zwar einzelne Teilbeträge positiv sind, die Gesamtsumme aber negativ oder 0 ist.
Das verwendbare Eigenkapital weist folgende Gliederung auf (der negative Betrag im EK 02 beruht z. B. auf nicht ausgeglichenen Verlusten der Vorjahre):
|
EK 50/EK 45 |
EK 02 |
EK 03 |
Summe |
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10.000 |
./. 40.000 |
15.000 |
./. 15.000 |
Erfolgt nun für dieses Wirtschaftsjahr eine Gewinnausschüttung von 10.000 DM, so stellt sich die Frage, ob sie gegen das EK 50/EK 45 verrechnet werden kann oder ob § 35 anzuwenden ist. Es ergibt sich folgender Belastungsunterschied:
Verrechnung gegen belastetes EK: |
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KSt-Minderung bei EK 50 (14/64 von 10.000) |
./. 2.187 |
KSt-Minderung bei EK 45 (ab Vz 1994; 15/70 von 10.000) |
./. 2.143 |
Anwendung des § 35: |
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KSt-Erhöhung (bis Vz 1993: 9/16 von 10.000) |
+ 5.625 |
KSt-Erhöhung (ab Vz 1994: 3/7 von 10.000) |
+ 4.286 |
M.E. ist § 35 in diesen Fällen nicht anwendbar; das ergibt sich daraus, daß nach dem System des Körperschaftsteuergesetzes der Gesamtbetrag des verwendbaren Eigenkapitals keine selbständige Bedeutung hat, sondern allenfalls zur Abstimmung mit der Bilanz herangezogen wird. So wird nach § 47 verfahrensrechtlich nicht der Gesamtbetrag des verwendbaren Eigenkapitals bindend festgestellt, sondern nur die einzelnen Teilbeträge. Entsprechend stellt § 28 Abs. 3 für die Ausschüttungsreihenfolge lediglich auf die einzelnen Teilbeträge, nicht jedoch auf einen Gesamtbetrag des verwendbaren Eigenkapitals ab. Hinzuweisen ist auch darauf, daß jede Bestimmung darüber fehlt, in welcher Reihenfolge ein negativer Betrag (z. B. EK 02) mit den anderen Teilbeträgen zu verrechnen ist, wenn die positiven Beträge die negativen übersteigen. Betrüge etwa im obigen Beispiel der negative Betrag des EK 02 nur 15.000 DM, so wäre nach dem Gesetz nicht zu entscheiden, ob dieser negative Betrag lediglich das EK 03 blockiert (die für den Steuerpflichtigen günstigere Lösung), so daß Ausschüttungen aus dem EK 50/EK 45 finanziert werden können, oder ob umgekehrt in Höhe von 10.000 das EK 50/EK 45 blockiert wird, so daß Ausschüttungen aus dem EK 03 zu finanzieren wären. Da diese Frage für die Belastung des Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung ist, hätte das Gesetz hierüber Bestimmungen treffen müssen, wenn es den Gesamtbetrag, nicht die Teilbeträge in den Vordergrund gestellt hätte. Schließlich ist eine Verrechnung der einzelnen Teilbeträge untereinander zu einem Gesamtbetrag nur ausnahmsweise in § 41 Abs. 4 vorgesehen, und auch hier nur eine Verrechnung der unbelasteten Teilbeträge untereinander; hieraus folgt, daß das Gesetz nur ausnahmsweise von einem Gesamtbetrag ausgeht, im übrigen aber die Teilbeträge als selbständig bestehen...