Prof. Dr. Gerrit Frotscher
1 Systematische Stellung der Vorschrift
Rz. 1
§ 41 gehört zu den materiellen Vorschriften des Anrechnungsverfahrens (zur Übersicht vgl. § 27 Rz. 4). Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 27 Abs. 1 zu sehen. Beide Vorschriften regeln den sachlichen Bereich des Anrechnungsverfahrens, also die Frage, welche Leistungen von Anrechnungskörperschaften (zu diesem Begriff vgl. § 27 Rz. 12 ff., § 43 Rz. 1 ff.) dem Anrechnungsverfahren unterliegen. Dabei behandelt § 27 Abs. 1 den Normalfall, d. h. die Gewinnausschüttungen (offene Gewinnausschüttungen, verdeckte Gewinnausschüttungen, Vorabausschüttungen). § 41 erweitert diese Regelung um "sonstige Leistungen", die keine Gewinnausschüttungen sind, trotzdem aber in das Anrechnungsverfahren einbezogen werden. § 27 Abs. 1 behandelt daher in sachlicher Hinsicht die Regelfälle, § 41 die Sonderfälle (vgl. hierzu im Einzelnen § 27 Rz. 38, 45).
Rz. 2
§ 27 Abs. 1 und § 41 bilden das Begriffspaar "Gewinnausschüttungen" (§ 27 Abs. 1) und "sonstige Leistungen" (§ 41). Zu unterscheiden sind diese Begriffe von dem Begriffspaar "Ausschüttungen" und "andere Ausschüttungen" nach § 27 Abs. 3 und § 28 Abs. 2. Das Begriffspaar "Gewinnausschüttungen" und "sonstige Leistungen" bestimmt den sachlichen Umfang des Anrechnungsverfahrens, regelt also die Frage, welche Leistungen von Anrechnungskörperschaften in das Anrechnungsverfahren einbezogen werden; diese Begriffe haben materielle Bedeutung, da sie über die Einbeziehung in das Anrechnungsverfahren und damit über das Entstehen von ausschüttungsbedingten Körperschaftsteueränderungen entscheiden. Die §§ 27 Abs. 1, 41 haben daher unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Steuerbelastung. Das Begriffspaar "Ausschüttung/andere Ausschüttung" regelt dagegen die zeitliche Zuordnung der ausschüttungsbedingten Körperschaftsteueränderungen zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum; ungeachtet der großen praktischen Bedeutung dieser Begriffe handelt es sich nicht um materielle, sondern um technische Begriffe. Sie haben keine Auswirkung auf das Entstehen bzw. die Höhe der Körperschaftsteuerschuld, sondern ordnen die (nach § 27 Abs. 1, § 41 entstehenden) ausschüttungsbedingten Körperschaftsteueränderungen nur zeitlich einem Veranlagungszeitraum zu.
Die Begriffspaare "Gewinnausschüttung/sonstige Leistung" und "Ausschüttung/andere Ausschüttung" beschreiben jeweils den gleichen Sachverhalt, nämlich in das Anrechnungsverfahren einbezogene Leistungen der Anrechnungskörperschaft. Ein Vorgang, der unter das eine Begriffspaar fällt, gehört daher notwendig auch zu dem anderen Begriffspaar. Die einzelnen Begriffe des jeweiligen Begriffspaares decken sich aber nicht, d. h. innerhalb des einen Begriffspaares werden die einzelnen Leistungen anders zugeordnet als innerhalb des anderen Begriffspaares. So ist eine offene Gewinnausschüttung eine "Gewinnausschüttung" i.S.d. § 27 Abs. 1 und gleichzeitig eine "Ausschüttung" i.S.d. § 27 Abs. 3, § 28 Abs. 2. Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist demgegenüber eine "Gewinnausschüttung" i.S.d. § 27 Abs. 1, aber eine "andere Ausschüttung" nach § 27 Abs. 3, § 28 Abs. 1. Dagegen ist die Einordnung der "sonstigen Leistungen" nach § 41 einheitlicher. Eine Leistung, die als "sonstige Leistung" unter § 41 fällt, ist immer auch eine "andere Ausschüttung" i.S.d. § 27 Abs. 3, § 28 Abs. 2 (zu einem Schema zu dieser Systematik vgl. § 27 Rz. 193).
Rz. 3
Daneben weist § 41 auch enge systematische Beziehungen zu § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG auf. Dem Anrechnungsverfahren unterliegen grundsätzlich nur Leistungen der Anrechnungskörperschaft, die bei dem Anteilseigner zu den in § 20 Abs. 1 Nr. 1—3 EStG definierten Einkünften gehören. Um keinen Bruch im Anrechnungsverfahren entstehen zu lassen, kann daher eine Leistung, wie in § 41, nur dann und nur insoweit in das Anrechnungsverfahren einbezogen werden, als diese Leistungen gleichzeitig in § 20 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen definiert werden. Um dies sicherzustellen, verwendet § 41 zur Bestimmung des Tatbestandes (der Leistungen, die als sonstige Leistungen unter § 41 fallen) keine eigene Definition, sondern verweist lediglich auf § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG. Diese Verweistechnik dient dazu, eine lückenlose Verbindung zwischen der auf der Ebene der Körperschaft dem Anrechnungsverfahren unterworfenen Leistungen und der Anrechnungsberechtigung auf der Ebene der Anteilseigner zu schaffen. Das ist in § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG geschehen, wenn dort z. B. in Nr. 1 sonstige Bezüge (die also keine Gewinnausschüttungen sind) sowie Auskehrungen auf beteiligungsähnliche Genussrechte und in Nr. 2 der Liquidationserlös und bestimmte Kapitalherabsetzungen als Einkünfte aus Kapitalvermögen definiert sind, gleichzeitig aber diejenigen Auskehrungen ausgeschlossen werden, bei denen EK 04 verwendet wird.
Dabei ist § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG die Grundnorm, die bestimmt, welche Leistungen bei dem Anteilseigner als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst werden und über § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG die Anrechnungsberechtigung vermitteln. Diese Leistungen werden dann ...