Prof. Dr. Gerrit Frotscher
1.1 Zweck der Vorschrift
Rz. 1
Die Vorschrift knüpft an § 8 Abs. 3 an, der grundlegend zwischen Einkommenserzielung und Einkommensverwendung im Körperschaftsteuerrecht unterscheidet. Faktoren, die zum Bereich der Einkommenserzielung gehören, beeinflussen das Einkommen positiv oder negativ und verändern daher die Steuerlast. Dagegen darf die Einkommensverwendung das Einkommen, und damit letztlich die Steuerlast, nicht berühren. Nach der grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 8 Abs. 3 gehören Vermögensminderungen bzw. unterlassene Vermögensmehrungen, die gesellschaftsrechtlich veranlasst sind, zum Bereich der Einkommensverwendung, dürfen also das Einkommen und damit die Steuerlast nicht mindern.
Diese Trennung von Einkommenserzielung und Einkommensverwendung führt zu Abgrenzungsschwierigkeiten, da nicht alle Beziehungen der Kapitalgesellschaft zu ihren Gesellschaftern zum Bereich der Einkommensverwendung gehören. Vielmehr kann die Kapitalgesellschaft zu ihren Gesellschaftern auch Beziehungen auf betrieblicher Grundlage unterhalten, die zum Bereich der Einkommenserzielung gehören. Diese Beziehungen können in allen schuldrechtlichen Vertragstypen bestehen (insbesondere Kauf-, Dienst-, Werkvertrag, Arbeitsvertrag, Miete, Pacht, Darlehen), durch die die Kapitalgesellschaft am Marktgeschehen teilnimmt. Insoweit ist es ohne Bedeutung, ob der Marktteilnehmer, mit dem die Kapitalgesellschaft diese Verträge schließt, ein Gesellschafter oder eine gesellschaftsfremde Person ist.
Zu unterscheiden sind daher Beziehungen zu den Gesellschaftern auf betrieblicher, schuldrechtlicher Grundlage, durch die die Kapitalgesellschaft am allgemeinen Marktgeschehen teilnimmt, die der Einkommenserzielung dienen und sich auf Einkommen und Steuerlast auswirken, und solche, die nicht auf die Teilnahme am allgemeinen Marktgeschehen gerichtet, sondern gesellschaftsrechtlicher Natur sind, zum Bereich der Einkommensverwendung gehören und Einkommen und Steuerlast daher nicht mindern dürfen. Dieser Abgrenzung dient das Institut der verdeckten Gewinnausschüttung (vgl. Anh. zu § 8 Rz. 33ff.). Die verdeckte Gewinnausschüttung ordnet bestimmte Beziehungen zu Gesellschaftern, die dem Anschein nach schuldrechtlichen, betrieblichen Charakter haben und daher zur Sphäre der Einkommenserzielung zu gehören scheinen, entsprechend ihrem verborgenen, tatsächlichen Charakter als gesellschaftsrechtliche Beziehungen der Sphäre der Einkommensverwendung zu.
Rz. 2
Es gibt weitere Fälle, bei denen die Abgrenzung zwischen der betrieblichen, schuldrechtlichen und der gesellschaftsrechtlichen Sphäre in Frage steht, die aber von dem Institut der verdeckten Gewinnausschüttung nicht erfasst werden. Das ist der Bereich der Ausstattung der Kapitalgesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital (sog. "Erstausstattung" mit Kapital). Die Entscheidung, die Kapitalgesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital zu finanzieren, kann nur der Gesellschafter treffen. Der Geschäftsführer hat keine Kompetenz, diese Frage zu entscheiden; der übliche Maßstab des Verhaltens eines "ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters", der bei der verdeckten Gewinnausschüttung zur Abgrenzung Einkommenserzielung von der Einkommensverwendung dient, versagt also. Das bedeutet, dass innerhalb des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung für die Beurteilung, ob die Ausstattung mit Eigen- oder Fremdkapital steuerlich anzuerkennen ist oder nicht, kein Beurteilungsmaßstab zur Verfügung steht. Demgemäß hat der BFH (v. 7.12.1983, I R 70/77, BStBl II 1984, 385; v. 23.5.1984, I R 294/81, BStBl II 1984, 673) diesen Bereich aus dem Anwendungsbereich der verdeckten Gewinnausschüttung ausgeklammert. Damit war die Frage, ob der Gesellschafter die Kapitalgesellschaft mit Eigen- oder mit Fremdkapital (Drittkapital oder Gesellschafter-Fremdkapital) finanziert, dem Gesellschafter zur völlig freien Entscheidung überlassen, ohne dass diese Entscheidung auf steuerliche Angemessenheit überprüft werden konnte. Erst der zweite Schritt, nämlich die Gestaltung der Verträge über die Überlassung des Fremdkapitals, unterlag der Angemessenheitskontrolle nach den Regeln der verdeckten Gewinnausschüttung (vgl. Anh. zu § 8 Rz. 302 "Erstausstattung"). Damit stand ein Bereich, der wesentlichen Einfluss auf die Höhe des von der Kapitalgesellschaft erzielbaren und damit steuerbaren Gewinns hat (vgl. Rz. 3), außerhalb jeglicher steuerlichen Angemessenheitskontrolle.
Diese Fälle waren mit der Einführung des körperschaftlichen Anrechnungsverfahrens in den Mittelpunkt der Steuergestaltungspraxis bei Kapitalgesellschaften gerückt. Diese Konzeptionen sind aber unabhängig von der Geltung des Anrechnungsverfahrens, was durch die Beibehaltung und Verschärfung des § 8a nach Abschaffung des Anrechnungsverfahrens bewiesen wird.
Rz. 3
Gewinne, die ausgeschüttet werden können, unterliegen bei der Kapitalgesellschaft der Gewerbesteuer, der körperschaftsteuerlichen Tarifbelastung nach § 23 Abs. 1 von 25 % sowie dem Solidaritätszuschlag hierauf von 5,5 %. Insgesamt beträg...