Prof. Dr. Gerrit Frotscher
4.6.1 Allgemeines
4.6.1.1 Übersicht und Rechtsentwicklung
Rz. 52
Nach Abs. 3 S. 2 übernimmt die übernehmende Körperschaft auch einen verbleibenden Verlustvortrag der übertragenden Körperschaft. Diese Regelung ist mit der Reform des UmwStG zum 1.1.1995 eingeführt worden; unter dem UmwStG 1977 ging der Verlustvortrag der übertragenden Körperschaft verloren. Die Übertragung des verbleibenden Verlustvortrags macht Gestaltungen wie die Verschmelzung der (größeren) profitablen auf die (kleinere) verlustmachende Gesellschaft („Verschmelzung Elefant auf Maus”) überflüssig (vgl. Rz. 79), bedeutet aber gleichsam eine Abkehr von dem sonst erforderlichen Merkmal der „rechtlichen Identität”. Dagegen bleibt das Merkmal der wirtschaftlichen Identität erhalten, da der verlustbringende Betrieb fortgeführt werden muss.
Rz. 53
§ 13 Abs. 3 S. 2 ist durch Gesetz v. 29.10.1997 geändert worden, indem die Übertragung des verbleibenden Verlustvortrags von der Fortführung des Betriebs, der den Verlust erlitten hat, abhängig gemacht worden ist. Diese Änderung ist auf Verschmelzungen anzuwenden, deren Eintragung in das Handelsregister nach dem 5.8.1997 beantragt worden ist. Durch Gesetz v. 20.12.2001 ist der Begriff „verbleibender Verlustabzug” durch den zutreffenderen Begriff „verbleibender Verlustvortrag” ersetzt worden. Eine sachliche Änderung ist damit nicht verbunden.
4.6.1.2 Verhältnis zu § 8 Abs. 4 KStG
Rz. 54
Neben der Einschränkung der Übertragung von Verlustvorträgen nach § 12 Abs. 3 S. 2 gilt § 8 Abs. 4 KStG. Der Unterschied zwischen beiden Vorschriften besteht in Folgendem:
- Bei § 12 Abs. 3 S. 2 werden die Verluste von einer Körperschaft auf die andere (übernehmende) Körperschaft übertragen; rechtliche Identität für den Verlustabzug ist also nicht erforderlich, wohl aber wirtschaftliche Identität.
- Bei § 8 Abs. 4 KStG bleiben die Verluste bei der Körperschaft, die sie erlitten hat (keine Übertragung von Verlusten); Verluste sind nur abzugsfähig, wenn rechtliche und wirtschaftliche Identität besteht.
Obwohl sich die Behandlung von Verlusten bei Verschmelzungsvorgängen in erster Linie nach § 12 Abs. 3 S. 2 UmwStG richtet, können sie auch den Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG erfüllen. Beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar.
Rz. 55
Die wesentlichen Tatbestandsmerkmale des § 8 Abs. 4 KStG sind die Übertragung von mehr als der Hälfte der Anteile und die Fortführung oder Aufnahme des Geschäftsbetriebs mit überwiegend neuem Betriebsvermögen (vgl. § 8 KStG Rz. 185ff.). Beide Tatbestandsmerkmale können auch durch einen Verschmelzungsvorgang erfüllt werden.
Denkbar sind solche Fallgestaltungen, wenn eine große profitable Gesellschaft und eine kleinere Gesellschaft mit Verlustvorträgen miteinander verschmolzen werden. Wird der Fall so gestaltet, dass die große Gesellschaft die übernehmende Gesellschaft ist, die kleinere, verlustbringende Gesellschaft die übertragende Gesellschaft, handelt es sich um einen Fall des § 12 Abs. 3 Nr. 2 UmwStG; der Verlustabzug bei der übernehmenden Gesellschaft hängt dann davon ab, ob der Geschäftsbetrieb der übertragenden Gesellschaft bei der übernehmenden Gesellschaft mindestens 5 Jahre in vergleichbarem Umfang fortgeführt wird. Soll der Geschäftsbetrieb der übertragenden Gesellschaft dagegen wesentlich verkleinert oder eingestellt werden, bietet sich der umgekehrte Weg an, nämlich die Verschmelzung der großen Gesellschaft auf die kleinere, verlustbringende (Verschmelzung „Elefant auf Maus”). In diesem Fall wird kein Verlust übertragen, § 12 Abs. 3 Nr. 2 UmwStG ist also nicht anwendbar. Stattdessen richtet sich die steuerliche Behandlung nach § 8 Abs. 4 KStG, d. h. es ist zu fragen, ob die wirtschaftliche Identität der übernehmenden Körperschaft geändert wird. Für die steuerlichen Wirkungen ist nach den Gesellschaftern beider Gesellschaften zu unterscheiden. Sind an beiden Gesellschaften die gleichen Gesellschafter beteiligt, kann die Gewährung neuer Anteile im Rahmen der Verschmelzung so gestaltet werden, dass nicht mehr als 50% der Anteile durch die Verschmelzung übergehen; der Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG ist nicht erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Geschäftsbetrieb der übernehmenden (kleinen, verlustbringenden) Körperschaft fortgeführt wird. Sind die Gesellschafter jedoch unterschiedlich, werden den Gesellschaftern der übertragenden (großen) Körperschaft Anteile an der übernehmenden (kleinen) Gesellschaft zu gewähren sein, die mehr als 50% der Anteile an dieser betragen; dann ist § 8 Abs. 4 KStG einschlägig, es wird ein Verlust der wirtschaftlichen Identität vorliegen.
Rz. 56
Ein Sonderfall dieser Konstellation liegt vor, wenn die Muttergesellschaft auf die (verlustbringende) Tochtergesellschaft verschmolzen wird (downstream merger). Auch dies ist ein Fall des § 8 Abs. 4 KStG, nicht des § 12 Abs. 3 S. 2, weil kein verbleibender Verlustabzug übe...