Dr. Matthias Geurts, Rita Walter
4.1.1 Begriff des Abflusses
Rz. 26
Anders als § 11 Abs. 1 S. 1 EStG stellt § 11 Abs. 2 S. 1 EStG dem Wortlaut nach nicht auf das Abfließen, sondern darauf ab, wann Ausgaben "geleistet" worden sind. Dieser unterschiedlichen Formulierung kommt jedoch keine entscheidende Bedeutung bei. Denn Zufluss und Leistung stellen in diesem Zusammenhang nach allgemeiner Meinung korrespondierende Begriffe dar. Für den Abfluss von Ausgaben gelten deshalb grundsätzlich dieselben Regeln wie für den Zufluss von Einnahmen. Beide Begriffe sind wirtschaftlich auszulegen. Entscheidend für den Abfluss ist deshalb auf den Zeitpunkt des Verlusts der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über ein Wirtschaftsgut abzustellen.
Ebenso wie der Zufluss (Rz. 14) ist der Abfluss ein tatsächlicher Vorgang. Ausgaben, deren Abzug im Verausgabungsjahr vergessen wurde, können daher nicht in einem späteren Jahr abgezogen werden.
Der BFH muss prüfen, ob ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, wenn ein Freiberufler, der seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, die Leasing-Sonderzahlung in einen Zeitraum mit vorübergehend außergewöhnlich hoher beruflicher Nutzung des Pkw verlagert.
Die Anwendung des Zu- und Abflussprinzips des § 11 EStG bei der Kostendeckelung hinsichtlich einer Leasingsonderzahlung widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz und dem Grundsatz der Gesamt- und Totalgewinngleichheit.
4.1.2 Verlust der wirtschaftlichen Verfügungsmacht
Rz. 27
Der Begriff des Abflusses ist wirtschaftlich zu verstehen. Ausgaben sind deshalb in dem Vz abziehbar, in dem der Stpfl. die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den Gegenstand der geschuldeten Erfüllungsleistung verloren hat und bei ihm damit objektiv eine Vermögensminderung eingetreten ist. Anders als für den Zuflusszeitpunkt (Rz. 15) ist für den Zeitpunkt der Leistung i. S. v. § 11 Abs. 2 S. 1 EStG aber nicht der Leistungserfolg entscheidend, sondern die Leistungshandlung. Beim Kreditkartengeschäft wird mit der Unterschrift des Belastungsbelegs die Leistung gem. § 11 Abs. 2 S. 1 EStG bewirkt. Die wirtschaftliche Verfügungsmacht des Kreditkarteninhabers über die ihm vom Kreditkartenaussteller zur Verfügung gestellten Mittel wird auf das Vertragsunternehmen übertragen, sobald der Kreditkarteninhaber den Belastungsbeleg unterzeichnet. Bei Zahlung mittels Kreditkarte erfolgt somit der Abfluss mit der Unterschrift auf dem Belastungsbeleg und nicht erst im Zeitpunkt der Belastung des Kontos. Auf den Eingang beim Gläubiger, d. h. den Leistungserfolg, kommt es nicht an. Der Abfluss wird auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Leistungshandlung, zu dem die Leistungsbewirkung in greifbare Nähe gerückt ist, vorverlagert. Denn im Grund war die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners bereits mit dem Eingehen der entsprechenden Verbindlichkeit gemindert (Rz. 10). Die Leistungshandlung ist dann abgeschlossen, wenn der Stpfl. von sich aus alles Erforderliche getan hat, um den Leistungserfolg herbeizuführen.
Rz. 28
Nicht entscheidend ist der Verlust der rechtlichen Verfügungsmacht. Bei einer Zahlung im Lastschriftverfahren liegt ein Abfluss i. S. d. § 11 Abs. 2 S. 1 EStG bereits dann vor, wenn der Stpfl. durch die Erteilung der Einzugsermächtigung und eine ausreichende Deckung seines Girokontos alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die Zahlung der Steuerschuld zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu gewährleisten. Wann der Leistungserfolg eintritt, ist unerheblich.
4.1.3 Unabhängigkeit vom Zufluss beim Gläubiger
Rz. 29
Ebenso wie die Behandlung einer Ausgabe oder einer Verbindlichkeit beim Schuldner ohne Auswirkung auf den Zufluss beim Gläubiger ist (Rz. 17), beurteilt sich auch umgekehrt die Frage des Abflusses beim Schuldner unabhängig davon, wie der Sachverhalt beim Gläubiger zu behandeln ist. Der Verlust der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über einen Vermögensgegenstand und damit ein Abfluss kann deshalb beim Schuldner bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten sein, zu dem beim Gläubiger wegen no...