5.1 Übersicht, Begriff
Rz. 66
§ 16 Abs. 3 EStG stellt die Betriebsaufgabe im Wege einer Fiktion der Betriebsveräußerung gleich. Bei zutreffender Beurteilung der Systematik handelt es sich indes nur vordergründig und formal um eine Fiktion. Sachlich ist der Begriff der Betriebsaufgabe der weitere und umfasst auch die Betriebsveräußerung (wegen des Verhältnisses der beiden Begriffe zueinander Rz. 22ff., zum sachlichen Umfang der Gleichstellung Rz. 98).
Eine Betriebsaufgabe i. S. d. § 16 Abs. 3 EStG liegt vor, wenn der Stpfl. aufgrund eines Entschlusses, den Betrieb aufzugeben, die bisher in diesem Betrieb entfaltete betriebliche Tätigkeit endgültig einstellt, alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang, d. h. innerhalb kurzer Zeit, entweder in das Privatvermögen überführt, anderen betriebsfremden Zwecken zuführt oder insgesamt einzeln an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen überführt und dadurch der Betrieb als selbstständiger Organismus des Wirtschaftslebens nicht mehr besteht (Rz. 19). Die Betriebsaufgabe ist ein tatsächlicher Vorgang, der zwar auf einem Willensentschluss beruht, sich aber i. d. R. nicht in diesem erschöpft, sondern der tatsächlichen Umsetzung bedarf. Als tatsächlicher Vorgang kann sie nicht rückwirkend beseitigt werden. Nur in Ausnahmefällen genügt zur Betriebsaufgabe eine Aufgabeerklärung wie beispielsweise bei der Betriebsverpachtung (Rz. 89). Aus diesen Gründen führt nach h. L. auch weder der Tod des Betriebsinhabers zu einer Betriebsaufgabe noch sein plötzliches Verschwinden unter Hinterlassung der Anweisung, den Betrieb aufzulösen; auch hier führt erst die Durchführung der Anweisung zur Betriebsaufgabe.
Diese Definition der Betriebsaufgabe enthält mehrere Elemente, die den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht einengen sollen, sondern lediglich den normalen Vorgang einer Betriebsaufgabe beschreiben, z. B. den Aufgabeentschluss als inneres Merkmal, die Veräußerung "an verschiedene Erwerber" oder die Zerschlagung des Unternehmens (Rz. 22f.).
5.2 Einheitlicher Vorgang der Betriebsaufgabe, zeitliche Begrenzung
Rz. 67
Die Betriebsaufgabe muss in einem einheitlichen Vorgang erfolgen. Nur dann wird sie von § 16 Abs. 3 EStG erfasst. Das bedeutet nicht, dass die Verwertung des wesentlichen Betriebsvermögens wie bei der Betriebsveräußerung "in einem Akt" erfolgen muss. Denn das ist bei der Betriebsaufgabe gerade nicht vorausgesetzt und im Regelfall auch nicht möglich, weil die Aufgabehandlung meist aus mehreren selbstständigen Akten wie Einzelveräußerung, Zweckentfremdung oder Überführung ins Privatvermögen besteht.
Das Erfordernis eines "einheitlichen Vorgangs" ist zum einen dahin zu verstehen, dass vom Stpfl. ein ununterbrochen zielgerichtetes Handeln verlangt wird; eine zwischenzeitliche Fortsetzung des Betriebs wäre z. B. schädlich. Zum anderen – und das steht in der Rspr. im Vordergrund – ist das Erfordernis zeitlich zu verstehen. Die einzelnen Verwertungsakte des wesentlichen Betriebsvermögens müssen in einem relativ kurzen Zeitraum abgewickelt werden. Denn der Gesetzeszweck der Tarifvergünstigung nach den §§ 16, 34 EStG ist, die zusammengeballte Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven nicht nach dem progressiven ESt-Tarif zu erfassen. Die Betriebsaufgabe setzt daher voraus, dass alle stillen Reserven der wesentlichen Grundlagen des Betriebs in einem Zug aufgedeckt werden und sich im Rahmen der ertragsteuerlichen Erfassung "zusammenballen". Das ist nicht der Fall, wenn dem Stpfl. stille Reserven verbleiben, die erst in späteren Vz aufgedeckt werden (Rz. 48). Es handelt sich bei dieser einschränkenden Auslegung des Begriffs "Aufgabe" um eine teleologische Reduktion auf solche Vorgänge, die durch zeitlich zügige Abwicklung die Gefahr einer progressionsintensiven Besteuerung in sich tragen.
Rz. 68
Trotz dieses offen zutage tretenden Gesetzeszwecks ist die Rspr. kasuistisch. Ein Zeitraum von sechs Monaten ist noch hinreichend kurz. Ob ein darüber hinausgehender Zeitraum noch ausreichend kurz ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Verkehrsfähigkeit der zu veräußernden Wirtschaftsgüter; ein Zeitraum von 14 Monaten kann noch angemessen sein (Veräußerung von landwirtschaftlichem Streubesitz). Ein Zeitraum von 36 Monaten ist zu lang. Unschädlich ist es, wenn ein angemessen kurzer Zeitraum sich auf zwei Vz erstreckt und die Zusammenballung der aufgedeckten stillen Reserven dadurch bereits gemildert ist.
Bei der Praxisaufgabe von Freiberuflern dar...