Rz. 327

§ 20 Abs. 4a S. 2 EStG enthält eine Sonderregel für Fälle, in denen es bei einem Anteilstausch zu einer baren Zuzahlung kommt. Die Regelung bezieht sich nur auf Tauschvorgänge i. S. d. § 20 Abs. 4a S. 1 EStG. Andere Tauschvorgänge werden nicht erfasst. Eine bare Zuzahlung erfolgt vor allem dann, wenn der Wert der erhaltenen Anteile hinter dem Wert der hingegebenen Anteile zurückbleibt, woran sich zeigt, dass es sich um eine einheitliche Kapitalmaßnahme handelt.[1] Für diesen Fall bestimmt § 20 Abs. 4a S. 2 EStG, dass die bare Zuzahlung als laufender Kapitalertrag i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung unterliegt. Sofern man einen Anteilstausch als echten Tauschvorgang i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG ansieht, bewirkt § 20 Abs. 4a S. 2 EStG damit eine Umqualifizierung eines Veräußerungserlöses in einen laufenden Kapitalertrag.[2] Folge der Umqualifizierung ist, dass eine Aufteilung der Anschaffungskosten zwischen den erhaltenen Anteilen und der baren Zuzahlung nicht erfolgt. Die Anschaffungskosten werden in voller Höhe den erhaltenen Anteilen zugeschlagen.[3]

 

Rz. 328

Weiterhin hat die Umqualifizierung in einen laufenden Kapitalertrag zur Folge, dass es zu einer Wiederverstrickung in der Vergangenheit gebildeter, aber wegen des Ablaufs der Jahresfrist i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a. F. mittlerweile steuerfreier stiller Reserven kommen kann.[4] Nach § 52a Abs. 10 S. 1 EStG a. F. ist § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden, deren Anschaffung nach dem 31.12.2008 erfolgte. Sofern die im Rahmen eines Anteilstauschs hingegebenen Anteil also vor dem 1.1.2009 erworben wurden und die Jahresfrist i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a. F. bereits abgelaufen ist, sind die in ihnen enthaltenen stillen Reserven nicht mehr steuerverstrickt. Wird nun ein Teil dieser stillen Reserven durch eine bare Zuzahlung abgegolten und wird diese als laufender Kapitalertrag i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung unterworfen, kommt es zu einer Wiederverstrickung. Denn § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist nach § 52a Abs. 1 EStG a. F. auf alle laufenden Kapitalerträge anzuwenden, die dem Stpfl. nach dem 31.12.2008 zufließen. Auf den Zeitpunkt der Anschaffung der zugrunde liegenden Kapitalanteile kommt es nicht an. Damit wird einem in der Vergangenheit begonnenen und bereits abgeschlossenen Vorgang im Nachhinein eine andere Rechtsfolge zugemessen. Eine solche echte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig.[5] § 20 Abs. 4a S. 2 EStG ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass ein stpfl. Kapitalertrag i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur dann entsteht, wenn auch die Veräußerung der im Rahmen des Anteilstauschs hingegebenen Anteile eine Besteuerung nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG auslösen würde.[6] Der Wortlaut des § 20 Abs. 4a S. 2 EStG differenziert zwar nicht zwischen Altanteilen und Neuanteilen. Auch § 52a Abs. 10 S. 10 EStG a. F. , der den zeitlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a S. 2 EStG regelt, enthält keine entsprechende Einschränkung.[7] Es dürfte jedoch kaum dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass es im Rahmen des § 20 Abs. 4a S. 2 EStG zu einer Wiederverstrickung in der Vergangenheit gebildeter und mittlerweile steuerfreier stiller Reserven kommt. Vielmehr sollte mit § 20 Abs. 4a S. 2 EStG eine Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens erreicht werden, der Bestandsschutz für Altanteile aber unangetastet bleiben.[8]

Das erkennt mittlerweile auch die Finanzverwaltung an.[9]

 
Praxis-Beispiel

Bare Zuzahlungen bei Gelegenheit eines Anteilstauschs

Anleger A ist an der B-AG beteiligt, die Sitz und Geschäftsleitung in München hat. Die Beteiligung, die weniger als 1 % des Nennkapitals ausmacht, hat A am 1.1.2010 für 5.000 EUR erworben. Am 1.1.2012 wird die B-AG auf die C-AG verschmolzen, deren Sitz und Geschäftsleitung in Hamburg liegt. A verliert seine Anteile an der B-AG, die zuletzt einen Wert v. 10.000 EUR hatten, und erhält im Gegenzug Anteile an der C-AG im Wert v. 9.000 EUR sowie eine bare Zuzahlung i. H. v. 1.000 EUR.

Ohne die Vorschrift des § 20 Abs. 4a S. 2 EStG wären die Anschaffungskosten der Anteile an der B-AG aufzuteilen. Auf die Anteile an der C-AG würden Anschaffungskosten i. H. v. 4.500 EUR und auf die bare Zuzahlung Anschaffungskosten i. H. v. 500 EUR entfallen. § 20 Abs. 4a S. 2 EStG bewirkt, dass eine Aufteilung der Anschaffungskosten nicht erfolgt. Die Anschaffungskosten der Anteile an der B-AG i. H. v. 5.000 EUR werden in vollem Umfang den Anteilen an der C-AG zugeschlagen. Die bare Zuzahlung i. H. v. 1.000 EUR ist im Zeitpunkt ihres Zuflusses in vollem Umfang nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG stpfl. Ihr sind keine anteiligen Anschaffungskosten i. H. v. 500 EUR gegenüberzustellen.

[1] A. A. Zuschlag, NWB 2013, 2781, 2783f.: Verschiedene Kapitalmaßnahmen.
[2] Jachmann, in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz. 1431.
[3] Jochum, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 EStG Rz. Fa 23; BFH v. 14.2.2022, VIII R 44/18, BStB...

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