10.3.1 Allgemeines
Rz. 102
Die Veranlagung endet regelmäßig mit der Festsetzung eines Steuerbescheids (§ 155 AO). Der Steuerbescheid ist ein Verwaltungsakt; er enthält eine verbindliche Festlegung über die Höhe der Steuer und kann die Steuer auch auf 0 EUR festsetzen. Er kann auch die Regelung enthalten, dass wegen fehlender persönlicher oder sachlicher Steuerpflicht keine Steuer entstanden ist (Freistellungsbescheid). Kein Freistellungsbescheid ist die eine Veranlagung intern ablehnende NV-Verfügung, d. h. ein innerdienstlicher Vermerk des FA, dass keine Steuerfestsetzung vorzunehmen sei. Das FA kann jederzeit eine Steuerfestsetzung vornehmen. Wird die innerdienstliche NV-Verfügung dem Stpfl. bekanntgegeben, ist nach dem jeweiligen Einzelfall deren Rechtscharakter zu bestimmen. Hier gilt der Empfängerhorizont und die Bezeichnung einer Mitteilung als NV-Verfügung ist dann nicht maßgeblich. Hier ist zu differenzieren und auf den Einzelfall abzustellen. Es kann sich sowohl um eine unverbindliche Auskunft ohne Regelungscharakter handeln, als auch ein Freistellungsbescheid bzw. die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung vorliegen. Die Steuerfestsetzung kann unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) oder, soweit die Voraussetzungen des § 165 AO vorliegen, vorläufig erfolgen. Beide Formen der Festsetzung können auch verbunden werden (§ 165 Abs. 3 AO).
Rz. 103
Nach § 155 Abs. 1 S. 2 AO in Übereinstimmung mit § 124 Abs. 1 S. 2 AO wird der Steuerbescheid nicht mit dem Inhalt wirksam, den die Behörde ihm geben wollte (so die frühere sog. Willenstheorie), sondern so, wie ihn der Empfänger nach seinem objektiven Sinngehalt nach der Verkehrssitte sowie nach Treu und Glauben verstehen durfte.
Rz. 104
Soll im Steuerbescheid wesentlich von der Steuererklärung abgewichen werden, ist dem Stpfl. zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 91 Abs. 1 S. 2 AO). Enthält der unter Verletzung der Anhörungspflicht des § 91 Abs. 1 S. 2 AO ergangene Steuerbescheid keinen deutlichen Hinweis darauf, dass von den Angaben der Steuererklärung zuungunsten des Stpfl. abgewichen wurde und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, ist wegen unverschuldeter Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 126 Abs. 3 AO).
Rz. 105
Der Abrechnungsteil des Steuerbescheids, in dem die nach § 36 Abs. 2 EStG anzurechnenden Beträge aufgeführt werden, ist rechtlich nicht Teil des Steuerbescheids.
10.3.2 Bekanntgabe
Rz. 106
Der Steuerbescheid ist dem Betroffenen bekannt zu geben, d. h. es müssen eine willentliche Handlung zur Bekanntgabe und ein Zugang gegeben sein. Der Verwaltungsakt ist dem Empfänger zugegangen, wenn er mit Willen des Bekanntgebenden in verkehrsüblicher Weise derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter regelmäßigen Umständen damit gerechnet werden kann, dass der Empfänger von ihm Kenntnis erlangt. Eine Zustellung ist nicht mehr vorgeschrieben, aber zulässig (§ 122 Abs. 5 AO). Der Steuerbescheid gilt im Inland mit dem dritten Tag und im Ausland einen Monat nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 AO). Ein elektronisch übermittelter Steuerbescheid gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben, es sei denn, er ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen (§ 122 Abs. 2a AO). Bei Zweifeln muss die Behörde den Zugang beweisen (§ 122 Abs. 2 Halbs. 2 AO, § 122 Abs. 2a Halbs. 2 AO). Das FA kann den Nachweis des Zugangs nicht mit den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins führen. Bestreitet der Stpfl. den Zugang überhaupt, so muss deshalb das FA den Nachweis des Zugangs führen, wobei es sich auf Indizien stützen kann. . Bestreitet der Bekanntgabe-Adressat nicht den Zugang als solchen, sondern nur den fristgerechten Zugang (innerhalb der Dreitagefrist), muss er substanziiert Tatumstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass er nicht fristgerecht in den Besitz des Schriftstücks gelangt ist. Ist die gesetzliche Vermutung des § 122 Abs. 2 AO dadurch erschüttert, muss die Behörde beweisen, dass und wann der Bescheid zugegangen ist.
Rz. 107
Für die Wahrung der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AO reicht es nicht aus, dass der Bescheid vor Fristablauf den Bereich des FA verlass...