Prof. Dr. Gerrit Frotscher
2.1.1 Behandlung von DBA- und Nicht-DBA-Verlusten
Rz. 9
Der unbeschränkten ESt-Pflicht nach § 1 EStG unterliegen nach dem Welteinkommensprinzip alle Einkünfte. Damit werden auch die in § 34d EStG aufgeführten ausl. Einkünfte von der deutschen Besteuerung erfasst. "Einkünfte" sind nach § 2 Abs. 2 EStG der Gewinn bzw. der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Nach dem System der Einkünfteermittlung können diese Einkünfte auch negativ sein, d. h. eine Vermögensminderung bei § 4 Abs. 1, § 5 EStG, ein Überschuss der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen bei § 4 Abs. 3 EStG oder ein Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen bei § 8 EStG. Dies gilt sowohl für inl. wie auch für ausl. Einkünfte; die unbeschränkte ESt-Pflicht erfasst daher auch ausl. Verluste.
Rz. 10
Verluste werden im internationalen Steuerrecht grds. ebenso behandelt wie Gewinne. Nach dem Welteinkommensprinzip werden die negativen Einkünfte im Rahmen der unbeschränkten Stpfl. unabhängig davon abgezogen, in welchem Staat die Tätigkeiten, die zu den Verlusten geführt haben, ausgeführt worden sind. Ausl. Verluste können daher mit ausl. und inl. positiven Einkünften im gleichen Vz (Verlustausgleich) oder durch Verlustrücktrag oder -vortrag nach § 10d EStG (Verlustabzug) in anderen Vz verrechnet werden.
Rz. 10a
Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt, wenn kein DBA besteht. Besteht dagegen ein DBA, sind regelmäßig bestimmte Arten von ausl. Einkünften (z. B. Betriebsstätteneinkünfte) aus der deutschen Besteuerung ausgeschieden (Freistellungsmethode; Rz. 4a). Die Freistellung erfasst sowohl die positiven als auch die negativen Einkünfte. Im Inland wirken sich die freigestellten positiven Einkünfte lediglich durch den positiven, die freigestellten negativen Einkünfte durch den negativen Progressionsvorbehalt aus (§ 32b EStG Rz. 37ff.). Einkünfte, für die das DBA die Anrechnungsmethode vorsieht, werden weiterhin in vollem Umfang der deutschen Besteuerung unterworfen. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn das DBA aufgrund eines Aktivitätsvorbehalts die Freistellung für bestimmte Betriebsstätteneinkünfte ausschließt.
Rz. 10b
Besteht ein DBA, gilt ebenfalls der Grundsatz, dass die negativen Einkünfte ebenso behandelt werden wie die positiven Einkünfte. Das bedeutet, dass bei Bestehen unbeschränkter Stpfl. ausl. Verluste im Inland (d. h. dem Ansässigkeitsstaat des Stpfl.) mit steuerlicher Wirkung von anderen stpfl. Einkünften abgezogen werden können, soweit nach dem DBA die Anrechnungsmethode anwendbar ist. Sieht das DBA dagegen die Freistellungsmethode vor, wie in den von Deutschland abgeschlossenen DBA für Betriebsstätten üblich, gilt nach deutscher Auffassung die Freistellung auch für Verluste ("Symmetriethese"). Der EuGH hat eine etwaige Schlechterstellung ausl. Betriebsstätten aufgrund der Symmetriethese als gerechtfertigt angesehen, da nur ein symmetrisches Recht zur Besteuerung der Gewinne und Verpflichtung zum Abzug der Verluste zu einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte sowie der Wahrung der Kohärenz des Steuersystems führe. Unklar ist jedoch die rechtliche Grundlage für den Nichtabzug der ausl. Verluste. Der BFH sieht die Rechtsgrundlage in dem DBA, das die Freistellungsmethode vereinbart. Damit sei die Steuerquelle dem anderen Staat zugewiesen; dies umfasse positive und negative Einkünfte. Ausl. Verluste, für die die Freistellungsmethode gilt, sind im Inland danach nur im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen (zur Kritik an dieser Auffassung Rz. 11).
Rz. 10c
Problematisch an dieser Auffassung ist, dass die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch ein DBA nicht zwingend eine Vermeidung der Doppelfreistellung bedeutet. Entsprechend hat der österr. VwGH entschieden, dass trotz Anwendung der Freistellungsmethode ausl. Verluste abzuziehen seien, ist dann aber ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zu einer Nachversteuerung der Gewinne gekommen. Der BFH folgt dieser Ansicht nicht.
Rz. 10d
Nach dem OECD-MK zu Art. 23 Abschn. 44 ist es dem jeweiligen Staat überlassen, in seinem nationalen Recht zu bestimmen, wie Verluste aus ausl. Quellen behandelt werden sollen. Eine solche nationale Regelung kann nur in dem Rechtsgedanken des § 3c EStG gesehen werden. Die Nichtberücksichtigung der ausl. Verluste würde sich dann aus § 3c EStG in analoger Anwendung ergeben.
Rz. 10e
M. E. kann die Begründung für die Symmetriethese nicht in der Systematik der DBA gesehen werden. Durch die Freistellung im DBA grenzt der Sitzstaat die ausl. Betriebsstätte nicht vollständig aus dem Regelungsbereich seiner Steuergesetze aus (sonst könnte auch der Progressionsvorbehalt nicht angewandt werden), sondern verzichtet nur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf die Besteuerung bestimmter Gewinne aus ausl. Quellen. Mit dem Zweck der Vermeidung der Doppelbesteuerung ist aber eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten durchaus vereinbar; Vermeidung der Doppelbesteuerung bedeutet nicht zwingend Vermeidung der Doppelfreistellung. Die DBA regeln...