1.2.1 Familienlastenausgleich
Rz. 3
Die Entwicklung des bis 1995 sog. Familien- oder Kinderlastenausgleichs ist charakterisiert durch den Wechsel von einer reinen Kinderfreibetragslösung zu einem dualen System von Kinderfreibeträgen und Kindergeldgewährung, sodann dem Übergang zu einer reinen Kindergeldlösung und anschließend der Rückkehr zum dualen System:
Bis 1954 wurde Kindern lediglich durch verschiedentlich angehobene Kinderfreibeträge Rechnung getragen. 1954 betrug der Kinderfreibetrag 600 DM und 840 DM ab dem dritten Kind.
Von 1955 bis 1974 wurde die durch das Vorhandensein von Kindern geminderte steuerliche Leistungsfähigkeit durch Kinderfreibeträge und erstmals daneben durch die Gewährung von Kindergeld als Sozialleistung berücksichtigt. Kindergeld wurde zunächst ab dem 3. Kind, später bei Drei- und Mehrkinderfamilien ab dem 2. Kind, bei Zweikinderfamilien für das 2. Kind, sofern das Jahreseinkommen unter 18.360 DM lag, insgesamt somit einer relativ kleinen Gruppe von Stpfl., gezahlt. Das Kindergeld betrug zuletzt für das 2. Kind 25 DM, für das 3. und 4. Kind 60 DM und ab dem 5. Kind 70 DM.
Die Einkommensteuerreform 1974 brachte ab 1975 mit der Umstellung auf ein reines Kindergeldsystem bei Streichung aller Kinderfreibeträge ein vom Einkommen der Eltern unabhängiges Ausgleichssystem mit einheitlichen Entlastungsbeträgen gestaffelt v. 1. Kind an. Das Kindergeld wurde mehrfach angehoben und betrug 1982 50 DM für das 1., 100 DM für das 2., 220 DM für das 3. Kind und 240 DM für weitere Kinder.
Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 v. 20.12.1982 wurden ab 1983 bis 1995 wieder – neben dem Kindergeld zu berücksichtigende – bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens abzuziehende (zunächst sehr bescheidene) Kinderfreibeträge eingeführt. Kindergeld und Kinderfreibeträge wurden in der Folgezeit lfd. erhöht (§ 32 EStG Rz. 2ff.). Wegen der progressiven Einkommensbesteuerung wirken sich die Kinderfreibeträge bei Stpfl. mit höherem Einkommen stärker entlastend aus als bei Stpfl. mit niedrigerem Einkommen. Bei höherem Einkommen wurde deshalb das Kindergeld bis auf einen Sockelbetrag gekürzt (§ 10 Abs. 2, 3 BKKG a. F.). Wirkte sich der Kinderfreibetrag (bei niedrigerem Einkommen als der Grundfreibetrag) nicht aus, erhöhte sich das Kindergeld um einen Kindergeldzuschlag (§ 11a BKKG a. F.). Die Höhe des Kindergelds und der Kinderfreibeträge bzw. die Kombination von sozialrechtlicher Förderung und steuerrechtlicher Entlastung wurde im Schrifttum unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überwiegend in Zweifel gezogen.
Seit 1996 gilt in Umsetzung der Rspr. des BVerfG (Rz. 4) das als Familienleistungsausgleich bezeichnete duale System in der Weise, dass Freibetrag und Kindergeld nicht nebeneinander, sondern, wenn im konkreten Fall die Voraussetzungen beider Vergünstigungen erfüllt sind, die günstigste Lösung realisiert wird (JStG 1996; Rz. 5ff.). Zu den nachfolgenden Gesetzesänderungen s. Rz. 2.
1.2.2 Rspr. des BVerfG
Rz. 4
Nach der neueren Rspr. des BVerfG muss bei der Einkommensbesteuerung ein Betrag in Höhe des (sozialrechtlichen) Existenzminimums aller Familienangehöriger (Familienexistenzminimum) steuerfrei bleiben. Dies folgt unmittelbar aus dem Gebot der Steuergerechtigkeit und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Es ist heute allgemein anerkannt, dass die Leistungsfähigkeit als Maßstab der Besteuerung nach dem Einkommen nur durch das Nettoprinzip im objektiven und auch im subjektiven Sinn ermittelt werden kann, dass somit nicht nur die Erwerbsaufwendungen, sondern auch diejenigen Ausgaben, die dem Stpfl. zur Befriedigung privater Bedürfnisse unausweichlich entstehen, steuermindernd zu berücksichtigen sind. Die rein betriebswirtschaftliche Betrachtung, nach der steuerlich nur die marktrelevanten Tatbestände erfasst werden und die Besteuerung familienpolitisch neutral zu sein habe, ist insofern überholt. Die Besteuerung darf dem Stpfl. den Teil seines Einkommens, den er für seine eigene Existenzsicherung und die seiner Kinder aufgrund zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen benötigt, nicht wegnehmen, um zu verhindern, dass er nach der Besteuerung aus Mangel an eigenen Mitteln auf Sozialhilfe angewiesen ist. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt, muss er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen belassen. Insofern wird das Abzugsverbot des § 12 EStG eingeschränkt, d. h., die Besteuerung darf die Belastung durch Kinder nicht wie Ausgaben zur Befriedigung vermeidbarer privater Bedürfnisse vom Abzug ausschließen.
Die steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen stellt sonach keine Steuervergünstigung dar, sondern ist zwingendes Gebot der Belastungsgle...