Joachim Moritz, Dr. Joachim Strohm
1.4.1 Proportionaltarif i. S. d. § 32d Abs. 1 S. 1 EStG
Rz. 9
Gegen den besonderen proportionalen Steuertarif i. S. d. § 32d Abs. 1 S. 1 EStG für die Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar führt § 32d Abs. 1 S. 1 EStG zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG. Während für die Einkünfte aus Kapitalvermögen ein proportionaler Sondertarif i. H. v. 25 % gilt, unterliegen die Einkünfte der anderen Einkunftsarten dem progressiven Normaltarif i. H. v. bis zu 45 %. Mit dieser Privilegierung verfolgt der Gesetzgeber jedoch wirtschaftspolitische Lenkungsziele. Denn durch die Absenkung des Steuersatzes bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG soll eine Verbesserung der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland erreicht werden. Die Verlagerung von Kapitalvermögen ins Ausland soll gebremst und im Ausland befindliches Kapitalvermögen soll nach Deutschland zurückgeführt werden. Hiervon erhofft sich der Gesetzgeber nicht nur eine Förderung der Gesamtwirtschaft, sondern auch eine Sicherung der inländischen Steuerbasis. Diese auf die Standortsicherung bezogenen gesetzgeberische Ziele sind geeignet, die durch § 32 Abs. 1 S. 1 EStG bewirkte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber ist nach Ansicht des BVerfG nicht gehindert, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf gesamtwirtschaftliche Anforderungen auszurichten. Dabei bleibt es auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn er die ihrer Natur nach nicht einer bestimmten Person zugeordnete und geografisch nicht gebundene Erwerbsgrundlage Finanzkapital dadurch erfasst, dass er alle Kapitaleinkünfte unabhängig von ihrer Anlageform und buchungstechnischen Erfassung an der Quelle besteuert und mit einer Definitivsteuer belastet. Auf dieser Grundlage ist § 32d Abs. 1 S. 1 EStG als mit der Verfassung vereinbar anzusehen, was der BFH ausdrücklich bestätigt hat.
1.4.2 Missbrauchsregel i. S. d. § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG
Rz. 10
Auch die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG enthaltene Missbrauchsregel hält den Anforderungen der Verfassung stand. Zwar bewirkt § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG, s. dazu die Ausführungen oben unter Rz. 9. Hierdurch sollen jedoch missbräuchliche Steuergestaltungen verhindert werden, die darauf abzielen, Einkünfte aus den hoch besteuerten anderen Einkunftsarten in die niedriger besteuerten Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG zu verlagern. Diese gesetzgeberische Zielsetzung ist grundsätzlich geeignet, die durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG bewirkte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, da der Gesetzgeber in den von dieser Vorschrift erfassten Fällen typisierend von einer missbräuchlichen Steuergestaltung ausgehen durfte. Gleichwohl ergeben sich Grenzen. So darf § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) EStG, der vorsieht, dass bei Darlehensbeziehungen zwischen nahestehenden Personen der proportionale Sondertarif i. H. v. 25 % keine Anwendung findet, zu keiner Benachteiligung von Ehe und Familie führen. Der BFH hat die Vorschrift daher einschränkend dahin gehend ausgelegt, dass für ein Nahestehen ein konkretes Beherrschungsverhältnis erforderlich ist. Die Regelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) EStG, die eine Anwendung des proportionalen Sondertarifs i. H. v. 25 % ausschließt, wenn der Gesellschafter im Fall einer Gesellschafter-Fremdfinanzierung zu mindestens 10 % an der betreffenden Gesellschaft beteiligt ist, hat der BFH dagegen gebilligt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber ab einer Beteiligung von 10 % von besonderen Möglichkeiten der Einflussnahme ausgeht, die es dem Gesellschafter erlauben, durch eine Fremdfinanzierung von dem proportionalen Sondertarif i. S. d. § 32d Abs. 1 EStG zu profitieren. Insgesamt betrachtet ist § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG danach als ebenfalls mit der Verfassung vereinbar anzusehen.