2.3.1 Gegenwertthese
Rz. 14
Die Gegenwertlehre oder Gegenwerttheorie entstammt einer Zeit, als § 33 EStG noch als Billigkeitsregelung anzusehen war. Demnach bestand keine Belastung des Stpfl., sofern dieser für den Aufwand einen entsprechenden Gegenwert erhielt. Die Gegenwertlehre ist verfassungsrechtlich unbedenklich und in der jüngeren BFH-Rspr. nicht explizit aufgegeben worden. Dennoch wird diese nur noch selten in einer Urteilsbegründung herangezogen. Allerdings liegt keine Belastung des Stpfl. vor, sofern lediglich eine Vermögensumschichtung erfolgt. Ausnahmen ergeben sich insbesondere bei verlorenem Aufwand (Rz. 15) sowie aufgrund von Billigkeitserwägungen (Rz. 16).
Z. T. wird eine dogmatische und praktische Grundlage der Gegenwertlehre negiert. M. E. ist die Gegenwertlehre im Grunde berechtigt und findet eine gesetzliche Grundlage in der Forderung nach einer Belastung des Stpfl. Indes muss die Gegenwertlehre mit Augenmaß angewendet werden, um nicht eine überschießende Wirkung zu erzielen. Einerseits kann es nicht richtig sein, dass der Stpfl. Aufwendungen absetzen kann, die später zu steuerfreien Erträgen führen können. Andererseits darf der verfassungsrechtlich gebotene Anspruch des Stpfl. auf Abzug außergewöhnlicher Belastungen nicht unzulässig eingeschränkt werden. Ein Ansatz des BFH ist es deshalb, einen vom Stpfl. erworbenen Vermögensgegenstand nur dann als Gegenwert zu erfassen, soweit es sich um einen nicht nur vorübergehenden Vorteil handelt, der eine eigene Marktfähigkeit besitzt und später zu einem Zufluss führt. Insoweit erscheint die Anwendung der Gegenwertlehre sachgerecht.
Kritisch zu sehen ist die Gegenwertlehre demgegenüber in den Fällen, in denen diese dazu verwendet wird, den Abzug einer außergewöhnlichen Belastung pauschal zu versagen. Der Vorschlag, eine Anrechnung des Verkehrswerts erworbener Gegenstände vorzunehmen, kann hierbei m. E. keine Abhilfe schaffen, da der Verkehrswert i. d. R. den Aufwendungen des Stpfl. entsprechen dürfte. Zielführender scheint hingegen der Ansatz des BFH, wonach Aufwendungen eines erlangten Gegenwerts nicht als außergewöhnliche Belastung gelten, wohl aber der Wert der ersetzten Wirtschaftsgüter. In dem vorstehend zitierten Urteil wurden Aufwendungen für den Erwerb von Damenbekleidung eines Transsexuellen aufgrund der Gegenwertlehre nicht zum Abzug zugelassen. Der BFH hat insoweit aber auf die Herrenbekleidung verwiesen, die vom Stpfl. nicht mehr genutzt werden konnte. Hierdurch kann ein bestehender Konflikt insoweit aufgelöst werden, als sowohl der vom Stpfl. erlangte Gegenwert berücksichtigt als auch eine Belastung erfasst wird. Bestehen Probleme hinsichtlich der Ermittlung der Belastungshöhe, könnte diese durch eine Schätzung erfolgen. Eine solche Schätzung müsste m. E. im Zweifel zugunsten des Stpfl. erfolgen, dürfte die entstandenen Aufwendungen indes nicht übersteigen.
Zuzustimmen ist der Kritik an der Gegenwertlehre, soweit bei einer Vielzahl von entschiedenen Fällen ein Abzug bereits mangels Außergewöhnlichkeit oder Zwangsläufigkeit ausscheiden würde. M. E. ist die Prüfung, ob ein Gegenwert vorliegt und ein Abzug außergewöhnlicher Belastungen ausscheidet, erst dann vorzunehmen, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale der Vorschrift erfüllt sind. Der Gegenwert ist deshalb nachrangig zu prüfen. Insoweit ist der Ansicht zuzustimmen, dass die Gegenwertlehre ein hohes Gefahrenpotenzial der Fehlanwendung birgt. Verständlich ist deshalb der zunehmend restriktive Rückgriff des BFH auf die Gegenwertlehre.
Weitere Beispiele aus der Rspr., in der ein Abzug außergewöhnlicher Belastungen aufgrund der Gegenwertlehre verneint wurde, sind die Wiederbeschaffung eines durch unverschuldeten Privatunfall zerstörten Pkw, der Umbau oder die Neuanschaffung von Gasgeräten infolge einer Umstellung auf Erdgas, der krankheitsbedingte Erwerb einer Geschirrspülmaschine, der Einbau von Schallschutzfenstern zur Abschirmung von Straßenlärm, der Einbau einer Nachtspeicherstromheizung, der allergiebedingte Erwerb neuen Mobiliars und neuer Bettwäsche, die Vornahme behinderungsbedingter Umbaumaßnahmen sowie der Anfall von Sielbaukosten. Die Aufwendungen für die Anschaffung eines Wasserbetts mit Holzrahmenkonstruktion sind auch bei einem Stpfl. mit chronischen Allergien nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig. Aufwendungen für die Neuanschaffung von Mobiliar können als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein, wenn von den ausgetauschten Möbeln aufgrund einer Formaldehydemission nachweisbar eine konkrete Gesundheitsgefährdung ausgeht.