Rz. 35
Im Prinzip endet die sachliche Anknüpfung an die Betriebsstätte, sobald die Tatbestandsmerkmale einer Betriebsstätte etwa wegen ihrer Auflösung bzw. Einstellung der Tätigkeit nicht mehr vorliegen oder der Unternehmer seine bisherige Verfügungsmacht über die feste Geschäftseinrichtung aufgegeben hat. Dennoch können nachträgliche Einkünfte, die ehemaligen ausl. Tätigkeiten oder sonstigen früher im Ausland verwirklichen Anknüpfungspunkten zuzurechnen sind, zu den ausl. Einkünften gehören.
Rz. 36
Noch nicht beantwortet ist dagegen die Frage, wie nachträgliche (positive oder negative) Einkünfte aus einer Betriebsstätte zu behandeln sind. Zum einen wird die Auffassung vertreten, jede Berücksichtigung von Einkünften erfordere, dass im Zeitpunkt des Anfalls der Einkünfte die Betriebsstätte noch unterhalten werde. Demgegenüber entsteht die am Veranlassungsprinzip orientierte Ansicht vertreten, nachträgliche positive oder negative Einkünfte seien in dem Betriebsstättenstaat auch dann zu berücksichtigen, wenn die Betriebsstätte nicht mehr besteht; maßgeblich sei nur, ob die Leistung, die zu den nachträglichen positiven oder negativen Einkünften führt, während des Bestehens der Betriebsstätte oder in einer der Betriebsstätte zuzurechnenden Weise erbracht wurde; diese Ansicht kann sich auf § 24 Nr. 2 EStG stützen. Die Verwaltung verlangt, dass bis zum Ende desjenigen Jahrs, das auf das Jahr der Auflösung der Betriebsstätte folgt, eine "Liquidationsbilanz" aufgestellt wird. Nachträgliche Aufwendungen und Erträge sollen der Betriebsstätte nur bis zu diesem Zeitpunkt zugeordnet werden, danach sind sie zwingend dem Stammhaus zuzuordnen. Hierfür spricht das in § 34d Nr. 2 EStG sowie § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verankerte Prinzip, dass Einkünfte nur solange als in- bzw. ausl. Einkünfte qualifiziert werden können, als eine in- bzw. ausl. Betriebsstätte existiert. Mit dem Abstellen auf eine Liquidationsbilanz gelten die allgemeinen Regeln zur Liquidationsbilanzierung und wird zudem inhärent eine Abgrenzung getroffen: Bei Forderungen, die im Zeitpunkt der Aufgabe der Betriebsstätte teilwertberichtigt ausgewiesen werden mussten, sich aber später als vollwertig erweisen, ist der Differenzbetrag dem Stammhaus und nicht mehr der Betriebsstätte zuzuordnen; Rückstellungen, die zunächst gebildet wurden, und später aufgelöst werden können, sind ebenfalls dem Stammhaus zuzuordnen.
Rz. 37
Auch wenn nicht zu übersehen ist, dass die neuere Ansicht die Beschränkung der Besteuerung auf Betriebsstätteneinkünfte aufweicht, ist ihr im Interesse einer lückenlosen Erfassung der von der Betriebsstätte im Betriebsstättenstaat erwirtschafteten Leistung doch zuzustimmen. Für die Erfassung nachträglicher Aufwendungen spricht indirekt auch die Rspr. des EuGH, der entnommen werden kann, dass es letztlich eine Schlussabwicklung von Tochtergesellschaften bzw. Betriebsstätten gibt, die dann gewährleisten muss, dass Gewinne und Verluste in die Besteuerung des Unternehmens eingehen und nicht unberücksichtigt bleiben können. Der EuGH weist allerdings darauf hin, dass eine Ausweitung dieses Gedankens auf Drittstaaten nicht möglich ist, da bei Betriebsstätten nur die Niederlassungsfreiheit zum Tragen kommt und diese die Kapitalverkehrsfreiheit verdrängt, die eine Anwendbarkeit der Diskriminierungsverbote auf das Recht mit Drittstaaten erstreckt. Der von Wassermeyer geäußerten Kritik an der Auffassung der Finanzverwaltung, ihr fehle die gesetzliche Grundlage und der Zeitpunkt der Aufstellung der Liquidationsbilanz sei willkürlich, kann deshalb nicht gefolgt werden.