Prof. Dr. Gerrit Frotscher
1.1 Zweck der Regelung
Rz. 1
Nach geltendem Recht erhalten unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben und beide Arbeitslohn beziehen, für den Lohnsteuerabzug jeweils die Steuerklasse IV. Auf gemeinsamen Antrag können sie die Steuerklasse III (i. d. R. für den Höherverdienenden) und die Steuerklasse V wählen. Da die Steuerklasse III die ehebezogenen Entlastungen, insbesondere den doppelten Grundfreibetrag, berücksichtigt, ergibt sich für den Ehegatten mit der Steuerklasse V eine verhältnismäßig hohe LSt-Belastung, insbesondere höher als in Steuerklasse IV.
Rz. 2
Durch das JStG 2009 v. 19.12.2008 ist für Doppelverdiener-Ehepaare ein optionales Faktorverfahren eingeführt worden. Es eröffnet die Möglichkeit, anstelle der Steuerklassenkombination III/V die Steuerklassenkombination IV/IV i. V. m. einem Faktor zu beantragen. Das Faktorverfahren ist nach § 52 Abs. 52 EStG erstmals für den LSt-Abzug 2010 anzuwenden.
Rz. 3
Bereits in früheren Gesetzentwürfen wurde über Alternativen zum geltenden LSt-Abzugsverfahren bei Ehegatten diskutiert. Ziel war es, den LSt-Abzug an die individuellen steuerlichen Verhältnisse anzupassen und die Steuerbelastung aus der Steuerklasse V zu mildern.
Rz. 4
Der Gesetzentwurf zum JStG 2008 sah in § 39e EStG-E ein optionales Anteilsverfahren vor, nach dem die von Arbeitnehmer-Ehegatten insgesamt zu entrichtende LSt den Ehegatten im Verhältnis ihrer Bruttolöhne anteilig zugeordnet werden sollte. Das Gesetzgebungsverfahren endete insoweit mit einem Prüfauftrag an die Bundesregierung, der letztlich in das ab 2010 geltende Faktorverfahren mündete. Für dieses waren folgende Gründe ausschlaggebend:
- Beim Faktorverfahren gilt für beide Ehegatten die Steuerklasse IV. Bis zu derzeit ca. 900 EUR Monatslohn beträgt die LSt damit 0 EUR gegenüber ca. 140 EUR bei Steuerklasse V. Dadurch wird die Forderung erfüllt, die als zu hoch empfundene Belastung in Steuerklasse V zu reduzieren, um etwaige Hemmnisse für die Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses abzubauen. Der stets weniger als 1 betragende Faktor für die LSt der Ehegatten jeweils nach Steuerklasse IV berücksichtigt zusätzlich – anders als die Steuerklassenkombination IV/IV – die steuermindernde Wirkung des Splittingverfahrens nach § 32a Abs. 5 EStG beim Lohnsteuerabzug (Rz. 11).
- Das Faktorverfahren berücksichtigt durch seine Anbindung an Steuerklasse IV bereits beim LSt-Abzug den familienrechtlich im Innenverhältnis zwischen den Ehegatten bestehenden Ausgleichsanspruch des einen gegen den anderen Ehegatten bei Zusammenveranlagung. Ergibt sich für einen Arbeitslohn bei Steuerklasse IV (sie entspricht der LSt bei Steuerklasse I) eine LSt von 0 EUR, so bleibt es auch im Faktorverfahren bei 0 EUR. Beim anderen Ehegatten, der bisher Steuerklasse III hatte, führt die Basis Steuerklasse IV zu einer höheren LSt-Belastung. Diese Folge ist unvermeidlich; sie entspricht dem genannten internen Ausgleichsanspruch. Ein anderes Verfahren zu einer derartigen Aufteilung der LSt-Belastung zwischen den Ehegatten war für den Gesetzgeber nicht erkennbar. Zugleich ist der durch ein weiteres Berechnungsverfahren entstehende unvermeidliche Verwaltungsaufwand vertretbar.
- Nach Auffassung des Gesetzgebers verfehlt das ebenfalls in die Prüfung einbezogene "Prozent- bzw. Durchschnittssteuersatzverfahren" das Ziel, die Steuerlast für den Ehegatten mit Steuerklasse V zu verringern. Bei unterschiedlich hohen Arbeitslöhnen der Ehegatten und weiteren positive Einkünften des besserverdienenden Ehegatten könnte sich die Steuerbelastung in Steuerklasse V sogar erhöhen.
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 4a
Die Vorschrift ist durch G. v. 19.12.2008 eingeführt worden. Sie wurde durch G. v. 7.12.2011 an den Wegfall der Lohnsteuerkarte und die Einführung der Lohnsteuerabzugsmerkmale angepasst.