10.1 Grundlagen
Rz. 199
§ 43 Abs. 5 EStG wurde als zentrale Vorschrift i. V. m. der Abgeltungsteuer auf private Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne durch das G. v. 14.8.2007 eingeführt. Die Erhebung der KapESt durch den Steuerabzugsverpflichteten ersetzt ab dem 1.1.2009 für den privaten Anleger das Veranlagungsverfahren zur ESt. Soweit die KapESt allerdings wegen fehlender Liquidität vom Steuerabzugsverpflichteten nicht abgeführt werden kann und eine Anzeige dieses Sachverhalts gegenüber dem Betriebsstätten-FA erfolgt, ist die Steuerschuld insoweit noch nicht getilgt. Eine Abgeltungswirkung kann in Höhe des Fehlbetrags nicht eintreten.
Rz. 200
§ 43 Abs. 5 S. 2 EStG regelt, dass die Abgeltungswirkung nicht eintritt in Fällen des § 32 d Abs. 2 EStG (§ 32d EStG Rz. 17ff.). Denn in diesen Fällen gilt nicht der gesonderte Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen, sondern vielmehr der individuelle progressive Steuertarif (§ 32a EStG).
Rz. 200a
Gehören die Kapitalerträge zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit oder Vermietung und Verpachtung, so greift ebenso wenig die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs. Denn die Abgeltungsteuer wurde nur für den privaten Anleger eingeführt, der Einkünfte aus Kapitalvermögen erwirtschaftet.
Rz. 201
§ 43 Abs. 5 S. 3 EStG sieht vor, dass Kapitalerträge, bei denen die Abgeltungswirkung grundsätzlich eintreten könnte, auf Antrag des Stpfl. in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32 d EStG einbezogen werden (§ 32d Abs. 4 EStG; § 32d EStG Rz. 48ff.). In diesen Fällen erfolgt regelmäßig eine (korrigierende) Veranlagung zur ESt, allerdings unter Anwendung des gesonderten Steuertarifs gem. § 32d Abs. 1 EStG.
Rz. 202
Die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung betrifft grundsätzlich nur diejenigen Einkünfte, die bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt werden. Abgeltend besteuerte Kapitalerträge wären daher auch in den Fällen des § 165 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AO nicht vom Vorläufigkeitsvermerk der Steuerfestsetzung umfasst und der Stpfl. zur Antragstellung gem. § 43 Abs. 5 S. 3 EStG verpflichtet. Nach S. 4, der durch Art. 1 Nr. 26 Buchst. d) Doppelbuchst. bb) des JStG 2010 v. 8.12.2010 mit Wirkung für alle nach dem 31.12.2008 zufließenden Kapitalerträge in das EStG eingefügt wurde, ist die Antragstellung gem. § 32d Abs. 4 EStG i. V. m. § 43 Abs. 5 S. 3 EStG nicht notwendig, wenn damit lediglich erreicht werden soll, dass die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung auch auf die Kapitalerträge erstreckt werden soll. Der Vorläufigkeitsvermerk umfasst vielmehr ohne Weiteres auch abgeltend besteuerte Kapitalerträge.
10.2 Sonderfälle
10.2.1 Abgeltungswirkung einbehaltener KapESt bei der Besteuerung von Scheinrenditen aus "Schneeballsystemen"
Rz. 203
Die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 S. 1 Halbs. 1 EStG tritt laut BFH auch dann ein, wenn die bei der Auszahlung der Kapitalerträge einbehaltene KapESt nicht beim FA angemeldet und abgeführt wird und kein – die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall nach § 43 Abs. 5 S. 1 Halbs. 2, S. 2 oder S. 3 EStG – vorliegt. Dies gilt laut BFH auch dann, wenn der Stpfl. Kapitaleinkünfte in Form von Scheinrenditen aus einem betrügerischen Schneeballsystem erzielt hat, für die aus seiner Sicht KapESt nach § 43 Abs. 5 S. 1 EStG einbehalten worden ist. In dem konkreten Fall waren die dem Stpfl. in den Streitjahren ausgewiesenen und ausgezahlten Scheinrenditen laut BFH zwar in voller Höhe als Kapitaleinkünfte i. S. d. § 20 EStG gem. § 11 EStG zugeflossen. Sie waren jedoch nach § 2 Abs. 5b EStG nicht der Einkommensbesteuerung zugrunde zu legen, da die ESt für diese Kapitaleinkünfte nach § 43 Abs. 5 S. 1 Halbs. 1 EStG durch die Einbehaltung der KapESt abgegolten wurde. Bei der Entscheidung, ob einer der in § 20 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, kommt es laut BFH entscheidend darauf an, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Kapitalanlegers als Leistungsempfänger bei objektiver Betrachtungsweise darstellt, da auf den nach außen erkennbaren Willen des Betreibers des Schneeballsystems abzustellen ist. Da der Stpfl. in dem konkreten Fall den tatsächlichen Sachverhalt nicht durchschaute, sondern angenommen hat, ein anderer habe gemäß der Bestätigung in seinem Auftrag und für seine Rechnung Aktiengeschäfte durchgeführt, war dieser Sachverhalt laut BFH der Besteuerung zugrunde zu legen. Danach handelte es sich in dem vom BFH entschiedenen Fall bei den erzielten Kapitalerträgen aus den Anlagegeschäften um Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG, obgleich es sich um sog. Scheinrenditen handelte.
Rz. 204
Es ergibt sich laut BFH weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung noch aus der Gesetzessystematik, dass die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 S. 1 Halbs. 1 EStG erst dann eintritt, wenn die nach § 43 Abs. 1 EStG einbehaltene KapESt beim FA angemeldet und an dieses abgeführt wird. Die Abgeltungswirkung tritt nach der Rspr. auch dann ein, wenn die Kapitalerträge aus Scheinrenditen aus der Sicht des Anlegers durch d...