Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
5.4.1 Rechtsentwicklung
Rz. 242
Der Ansatz von Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) in der Bilanz dient der Verlagerung von Aufwand und Erträgen in andere Wirtschaftsjahre als die ihrer Entstehung zum Zweck einer richtigen Periodenabgrenzung. In welchem Umfang Rechnungsabgrenzungsposten ausgewiesen werden dürfen oder müssen, hängt deshalb wesentlich von der jeweiligen Bilanzauffassung ab. Die Ansicht der Lehre und Rspr., aber auch des Gesetzgebers zu den Rechnungsabgrenzungsposten hat aus diesem Grund mehrfach gewechselt.
Vor 1965 war eine Verlagerung von Aufwand und Erträgen durch Rechnungsabgrenzungsposten vor dem Hintergrund der damals vorherrschenden dynamischen Bilanzauffassung und des darauf beruhenden Prinzips der einheitlichen Behandlung schwebender Geschäfte in weitem Umfang möglich.
Durch die Aktienrechtsreform 1965 wurde der Ausweis von Rechnungsabgrenzungsposten sodann erheblich eingeschränkt: Nach § 152 Abs. 9 AktG durften nur noch sog. transitorische, d. h. in spätere Wirtschaftsjahre verlagernde, Rechnungsabgrenzungsposten ausgewiesen werden, und auch diese nur, wenn sie Aufwand oder Ertrag "für eine bestimmte Zeit" nach dem Bilanzstichtag waren (sog. transitorische Posten i. e. S.). Nicht mehr angesetzt werden durften transitorische Posten i. w. S., also solche Aufwendungen und Erträge, die zwar auch Auswirkungen auf spätere Wirtschaftsjahre haben, deren Wirkung aber nicht auf eine "bestimmte Zeit" nach dem Bilanzstichtag bezogen war, so z. B. Werbeaufwand des laufenden Wirtschaftsjahrs, der zwar auch den Umsatz der folgenden Wirtschaftsjahre beeinflusst, aber nicht Aufwand "für eine bestimmte Zeit" nach dem Bilanzstichtag ist.
Ebenfalls nicht mehr angesetzt werden durften sog. antizipative Posten, also solche Rechnungsabgrenzungen, mit denen Aufwendungen und Erträge, die erst in späteren Wirtschaftsjahren anfielen, in frühere Wirtschaftsjahre vorgezogen werden sollten.
Die Regelung des § 152 Abs. 9 AktG wurde 1969 in das Einkommensteuerrecht übernommen. Sie wurde 1976 bzw. 1980 ergänzt um die Bestimmungen über die aktive Rechnungsabgrenzung von Zöllen und Verbrauchsteuern (vgl. Rz. 259) sowie von USt auf Anzahlungen (vgl. Rz. 265). Damit sind insoweit wieder transitorische Posten i. w. S. anzusetzen.
Mit dem Bilanzrichtliniengesetz v. 19.12.1985 ist die steuerrechtliche Regelung in § 250 HGB übernommen worden.
5.4.2 Regelung im Überblick
Rz. 243
Handels- und Steuerrecht regeln die Rechnungsabgrenzung somit (vgl. Rz. 242) heute, mit Ausnahme der steuerlichen Abgrenzung nach § 5 Abs. 5 S. 2 EStG, im Wesentlichen gleich lautend. Auszuweisen sind transitorische Posten i. e. S., nämlich
- auf der Aktivseite Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Stichtag darstellen,
- auf der Passivseite Einnahmen vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach dem Stichtag darstellen.
Aktive und passive Rechnungsabgrenzung erfolgen nach den gleichen Regeln; die Tatbestandsmerkmale sind gleichlautend auszulegen.
Rz. 243a
Aktive Rechnungsabgrenzungsposten dienen dazu, Ausgaben derjenigen Periode zuzuordnen, zu der sie wirtschaftlich gehören und in der die zugehörigen Einnahmen anfallen. Passive Rechnungsabgrenzungsposten nehmen entsprechende Einnahmen auf, die vor dem Bilanzstichtag anfallen, aber Erträge einer späteren Periode darstellen. Durch die Rechnungsabgrenzungsposten werden Ausgaben und Einnahmen derjenigen Periode als Aufwendungen und Erträge zugeordnet, zu der sie wirtschaftlich gehören. Es handelt sich regelmäßig um Vorleistungen eines Vertragspartners, der eine noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht. Für diese Rechnungsabgrenzungsposten besteht handels- wie steuerrechtlich eine Aktivierungs- bzw. Passivierungspflicht. Lediglich bei geringfügigen und jährlich in etwa gleicher Höhe wiederkehrenden Abgrenzungsbeträgen soll nach der Rspr. auf einen Ausweis verzichtet werden können. Für die besonders geregelte Rechnungsabgrenzung von Zöllen und Verbrauchsteuern sowie von USt auf Anzahlungen galt handelsrechtlich ein Aktivierungswahlrecht, aufgrund des BilMoG jetzt ein Aktivierungsverbot, steuerrechtlich besteht Aktivierungspflicht.
Rz. 244
Antizipative Posten, also die "vorwegnehmende" erfolgswirksame Buchung von Erträgen und Aufwendungen, die erst in späteren Wirtschaftsjahren entstehen, sind als Rechnungsabgrenzung nicht erlaubt. Posten dieser Art können somit in der Bilanz nur angesetzt werden, wenn sie die Eigenschaft von Wirtschaftsgütern (Vermögensgegenständen) bzw. Verbindlichkeiten besitzen. Infrage kommt vornehmlich der Ansatz als Forderung, wenn ein Entgelt zwar rechtlich noch nicht entstanden, wirtschaftlich aber bereits "verdient" ist. Dies ist etwa der Fall bei nachschüssig zu zahlenden Entgelten für zeitraumbezogene Nutzungen (Miete, Pacht), wenn der Abrechnungszeitraum der Nutzung erst im folgenden ...