Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 94
Besteht keine oder keine vollständige eigene Entlastungsberechtigung der zwischengeschalteten Gesellschaft, weil die Bruttoerträge ganz oder teilweise nicht aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit stammen, wird diese Entlastungsberechtigung bei Vorliegen der in den § 50d Abs. 3 Nrn. 1 und 2 EStG (bis 31.12.2011: 1–3) aufgeführten Funktionsmerkmale erweitert. Der Wortlaut des Gesetzes ist "negativ" gefasst; er regelt also nicht, wann die Entlastungsberechtigung besteht, sondern, wann sie nicht besteht. Sind die Tatbestandsmerkmale eines der Funktionsmerkmale des Abs. 3 Nr. 1 oder 2 erfüllt, entfällt die Entlastungsberechtigung. Dies nach der Regelungstechnik des Gesetzes allerdings nur, wenn die allgemeinen Merkmale der fehlenden direkten Entlastungsberechtigung und der fehlenden eigenen Wirtschaftstätigkeit und zusätzlich eines der besonderen Funktionsmerkmale des Abs. 3 S. 1 Nr. 1–2 kumulativ vorliegen. Das ergibt sich aus dem Wort "sowie", wonach die allgemeinen Merkmale fehlen und eines der Funktionsmerkmale vorliegen müssen. Dagegen brauchen nicht beide Funktionsmerkmale des Abs. 3 S. 1 Nr. 1–2 vorzuliegen. Diese Merkmale sind, da sie durch das Wort "oder" verbunden sind, alternativ. Es genügt für den Ausschluss der Entlastungsberechtigung daher, wenn nur eines dieser beiden Merkmale erfüllt ist.
Rz. 95
Im Ergebnis soll die Vorschrift Gesellschaften von der Entlastungsberechtigung ausschließen, die im Hinblick auf die entlastungsberechtigten Erträge keine wirtschaftliche Funktion erfüllen. Maßgebend ist also die Funktion, die die Gesellschaft ausübt, und welche Bedeutung die entlastungsberechtigten Erträge im Rahmen dieser Funktion haben. Ist die ganze Gesellschaft völlig funktionslos (Basis-, Briefkastengesellschaft), ist sie schon nach allgemeinen Grundsätzen von der Entlastung ausgeschlossen. Sie ist nach § 42 AO als steuerrechtlich nicht existent zu behandeln, sodass es für die Entlastungsberechtigung unmittelbar auf die dahinterstehenden, unmittelbar beteiligten Gesellschafter ankommt, ohne dass Abs. 3 anzuwenden wäre.
Rz. 95a
Die beiden Merkmale der Nrn. 1 und 2 sowie die S. 2 und 3 konkretisieren den Missbrauchsbegriff im Zusammenhang mit der Zwischenschaltung einer ausl. Gesellschaft. Sie sind als Indizien für den Missbrauch bzw. die Missbrauchsabsicht zu verstehen. Die Benutzung von unbestimmten Rechtsbegriffen, wie "wirtschaftlich oder sonst beachtliche Gründe" und "angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb" lässt der Auslegung genügend Spielraum, um zu im Einzelfall angemessenen Ergebnissen zu kommen. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe ermöglichen es dem Stpfl. auch, entsprechende Darlegungen vorzubringen. Bei einer solchen Auslegung ist die Indizwirkung der einzelnen Merkmale i. d. R. sehr stark. Entsprechend führt die mit ihnen verbundene unwiderlegbare Vermutung zu überzeugenden Ergebnissen. Die Nutzung von im Gesetz formulierten Indizien, die sachgerecht ausgestaltet sind, wirft weder verfassungs- noch europarechtliche Probleme auf. Allerdings setzt dies voraus, dass die Auslegung die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Eine formale Wortauslegung kann zu Ergebnissen führen, die insbesondere europarechtlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.