Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 40
Nach § 50g Abs. 3 Nr. 1 S. 1 EStG tritt die Steuerbefreiung nur ein, wenn der Gläubiger der Erträge auch deren Nutzungsberechtigter ist. Dies geht auf Art. 1 Abs. 1 der Zins- und Lizenzrichtlinie zurück.
§ 50g Abs. 3 Nr. 1 S. 2 EStG definiert den Begriff des "Nutzungsberechtigten", und zwar getrennt für das Unternehmen selbst (Buchst. a) und für Betriebsstätten (Buchst. b). Nach § 50g Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Buchst. a EStG ist Nutzungsberechtigter ein Unternehmen, wenn es die Einkünfte aus den Zinsen oder Lizenzerträgen nach § 2 Abs. 1 EStG erzielt. Eine besondere Definition im nationalen Recht war erforderlich, weil der aus dem DBA-Recht bekannte Begriff des "Nutzungsberechtigten" im nationalen Recht nicht verwandt wird. Maßgebend ist, ob dem Unternehmen die Einkünfte steuerlich zuzurechnen sind, sie also als Teil seines Einkommens der Steuer unterliegen. Problematisch ist die Verweisung auf § 2 Abs. 1 EStG und damit auf deutsches Steuerrecht, und zwar deshalb, weil der Gläubiger, auf den sich die Definition bezieht, im ausl. EU-Staat ansässig ist. Außerdem enthält Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie eine eigenständige Definition des Nutzungsberechtigten, sodass nicht auf deutsches Recht zurückgegriffen werden kann.
Die Verweisung auf § 2 Abs. 1 EStG bezieht sich m. E. daher nur auf den Begriff der "Einkünfte", d. h. die Zinsen bzw. Lizenzgebühren müssen zu "Einkünften" i. S. d. § 2 Abs. 1 EStG gehören. Für die Frage, wer die Einkünfte "erzielt", d. h. wer "Nutzungsberechtigter" ist, ist m. E. nicht auf die deutschen Grundsätze des wirtschaftlichen Eigentums, § 39 AO, zurückzugreifen, sondern auf die Definition des § 1 Abs. 4 der Richtlinie. Danach ist das Unternehmen nur Nutzungsberechtigter, wenn es die Zahlung zu eigenen Gunsten (auf eigene Rechnung) vereinnahmt, und nicht nur als Zwischenträger, wie Vertreter, Treuhänder oder Bevollmächtigter für eine andere Person. Diese Definition des "Nutzungsberechtigten" dürfte i. d. R. zu den gleichen Ergebnissen führen wie bei Anwendung der Figur des wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 AO. Systematisch ist es allerdings richtiger, den Begriff des Nutzungsberechtigten durch autonome Auslegung aus der Richtlinie abzuleiten, nicht aus dem nationalen Recht. Auch etwaige Definitionen im DBA-Recht sind nicht anwendbar.
Rz. 41
§ 50g Abs. 3 Nr. 1 S. 2 Buchst. b EStG definiert, wann eine Betriebsstätte Nutzungsberechtigter ist. Die Definition beruht auf Art. 1 Abs. 5 der Zins- und Lizenzrichtlinie und entspricht ihr weitgehend wörtlich.
Eine Betriebsstätte ist danach bei Erfüllung der folgenden zwei Voraussetzungen Nutzungsberechtigter. Die Forderung bzw. das Recht, für das die Vergütungen gezahlt werden, müssen tatsächlich zu der Betriebsstätte gehören. Dies ist der Fall, wenn die Forderung oder das Recht notwendiges oder zumindest gewillkürtes Betriebsvermögen der Betriebsstätte ist. Zu beachten ist hierbei, dass die deutsche Finanzverwaltung aufgrund der funktionalen Betrachtungsweise ein Konzept der "Zentralfunktion des Stammhauses" vertritt, wonach Wirtschaftsgüter, insbesondere Finanzmittel, die nicht für den Betrieb der Betriebsstätte benötigt werden, nicht der Betriebsstätte, sondern dem Stammhaus zuzuordnen sind. Dies wird durch § 7 Abs. 1 S. 2 BsGaV festgelegt (§ 49 EStG Rz. 67). Insbesondere mittel- und langfristige Kapitalanlagen werden nach diesem Konzept nicht "tatsächlich zu der Betriebsstätte gehören".
Rz. 42
Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass die Vergütungen von dem EU-Staat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, einer der in § 50g Abs. 3 Nr. 1 S. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb bzw. Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. cc EStG aufgeführten bzw. weitgehend ähnlichen Steuer unterworfen werden. Die Vorschrift stellt somit eine "subject-to-tax-Klausel" dar. Die Steuerbefreiung in dem Quellenstaat soll nur eintreten, wenn die Vergütungen in dem Betriebsstättenstaat tatsächlich zur Steuer herangezogen werden. Das bedeutet, dass die Vergütungen in die steuerliche Bemessungsgrundlage in dem Betriebsstättenstaat einbezogen werden müssen und keine generelle Steuerbefreiung eintritt. Entscheidend ist nur, dass die Zahlungen bei dem Zahlungsempfänger Einkünfte darstellen, die zur Bemessungsgrundlage einer Ertragsteuer i. S. d. Anlage 3 Nr. 2 gehören. Ohne Bedeutung ist dagegen, ob tatsächlich eine Steuer entsteht oder ob die Steuer infolge eines Ausgleichs mit Verlusten 0 EUR beträgt. Erfasst werden die in der Anlage 3 Nr. 2 aufgeführten Steuern sowie alle Steuern, die mit den genannten Steuern identisch oder ähnlich sind und die nach dem Inkrafttreten der Zins- und Lizenzrichtlinie anstelle der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Steuern oder ergänzend zu ihnen eingeführt werden. Dies betrifft die Staaten, die zu diesem Zeitpunkt Mitglieder der EU waren. Für die später beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien bestimmt sich der maßgebende Zeitpunkt, nach dem identische oder weitgehend ähnliche Steuern anstelle oder ergänzend zu den ursprünglichen Steuern eingeführt wer...