Dipl.-Finanzwirt Kirsten Happe
4.1 Begriff des Ausländers
Rz. 24
Maßgeblich ist der Ausländerbegriff nach dem ab 2005 geltenden Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Danach ist Ausländer jeder, der nicht Deutscher i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG ist, d. h. fremde Staatsangehörige und Staatenlose (§ 2 Abs. 1 AufenthG). § 62 Abs. 2 EStG gilt nur für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer. Bei freizügigkeitsberechtigten Ausländern handelt es sich um Staatsangehörige der EU- bzw. EWR-Staaten und ihre Familienangehörigen, deren Einreise- und Aufenthaltsrecht sich nach Art. 2 des G. über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) richtet. Das sind im Wesentlichen Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche, Ausbildung, selbstständiger Erwerbstätigkeit und Empfänger von Dienstleistungen im Inland aufhalten, sowie ihre Familienangehörigen (§§ 2ff. FreizügG/EU). Außerdem gilt § 62 Abs. 2 EStG nicht für Bürger aus EWR-Staaten aufgrund vorrangigen Abkommensrechts (Rz. 25).
Vertriebene und Spätaussiedler nebst Ehegatten und Abkömmlingen sind Deutsche. Sie bedürfen zur Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland keines Aufenthaltstitels nach dem AufenthG.
Der Status als Spätaussiedler wird durch eine Bescheinigung nach § 15 BVFG festgestellt. Erfüllt ein Ausländer nicht die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung, erhält er lediglich die steuerliche Entlastung des Familienexistenzminimums durch die Gewährung des Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (Rz. 17).
4.2 Sonderrechte für EU-Bürger
4.2.1 Freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger (Abs. 1a)
Rz. 25
Für EU-Bürger und Staatsangehörige aus einem anderen EWR-Staat sowie die sie begleitenden Familienangehörigen gelten die Erfordernisse des § 62 Abs. 2 EStG nicht.
Innerhalb der EU-/EWR-Staaten werden – unabhängig von den jeweiligen nationalen Kindergeldvorschriften – die Vorschriften über die soziale Sicherheit seit dem 1.5.2010 durch die VO 883/2004/EG geregelt. Davon umfasst sind auch die Regelungen zu den Familienleistungen, zu denen das Kindergeld – auch in seiner Ausgestaltung als Steuervergütung – gehört. Diese Verordnungen haben als Unionsrecht Anwendungsvorrang für diejenigen Stpfl., die in ihren persönlichen Anwendungsbereich fallen.
Für den Kindergeldanspruch freizügigkeitsberechtigter Ausländer ist für Zeiträume ab August 2019 § 62 Abs. 1a EStG zu beachten. Demnach besteht für EU-/EWR-Ausländer für die ersten 3 Monate ab Begründung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts kein Anspruch auf Kindergeld. Nach § 62 Abs. 1a S. 2 EStG gilt dies nicht, wenn nachgewiesen wird, dass inländische Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit oder aus nicht selbstständiger Arbeit (ausgenommen sind Wartegelder, Ruhegelder etc. nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG) erzielt werden. Nach Ablauf des Zeitraums von 3 Monaten, besteht ein Kindergeldanspruch, es sei denn bestimmte Voraussetzungen des Rechts auf Aufenthalt und Einreise nach dem FreizügG/EU sind nicht erfüllt. Der Zeitraum von 3 Monaten ist dabei taggenau zu ermitteln. Es ist nicht auf Kalendermonate abzustellen. Dies kann in Fällen entscheidend sein, in denen die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 1a S. 1 EStG erfüllt sind und ein Kindergeldanspruch für die ersten 3 Monate ab Begründung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts besteht, im Anschluss jedoch ein Anspruch ausgeschlossen ist, weil die Voraussetzungen des Rechts auf Aufenthalt und Einreise nach dem FreizügG/EU nicht erfüllt sind. Nach § 66 Abs. 2 EStG ergibt sich, dass Kindergeld für jeden Monat zu gewähren ist, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wenigstens an einem Tag erfüllt sind. So kommt eine Kindergeldberechtigung für 4 Monate in Betracht, wenn sich der dreimonatige Zeitraum auf 4 Kalendermonate verteilt.
Die Prüfungskompetenz, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1a S. 2 EStG vorliegen oder nach § 62 Abs. 1a S. 3 EStG nicht erfüllt sind, obliegt der Familienkasse (§ 62 Abs. 1a S. 4 EStG i. V. m. § 2 Abs. 2 und 3 FreizügG/EU). Eine ablehnende Entscheidung muss sie der zuständigen Ausländerbehörde mitteilen...