Rz. 3
Für Kinder in EU-/EWR-Staaten und in Staaten, mit denen ein Abkommen über soziale Sicherheit besteht (Abkommensstaaten), gelten die Ausschlussregelungen des Abs. 1 jedoch nicht. Doppelansprüche werden durch die über- und zwischenstaatlichen Prioritätsregelungen ausgeschlossen (Rz. 9). Für Kinder in EU-/EWR-Staaten und in der Schweiz kann danach ein Anspruch auf einen Unterschiedsbetrag als Teilkindergeld bestehen, s. Rz. 15.
Rz. 3a
Das Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht und Abkommen über soziale Sicherheit) verdrängt die in § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG geregelte Anrechnung von den im Ausland gewährten, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anwendungsbereich der jeweiligen Verordnung eröffnet ist. Demzufolge findet die Vorschrift nur dann Anwendung, soweit sie nicht durch zwischen- oder überstaatliches Recht verdrängt wird.
In ersten Entscheidungen hat der BFH noch die Auffassung vertreten, dass der gemeinschaftsrechtlich geregelte Vorrang zu einem vollständigen Ausschluss des Anspruchs auf Kindergeld führen könne.
Die Anwendung des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG darf aufgrund der Bestimmungen der Art. 45ff. AEUV zur Arbeitnehmer-Freizügigkeit jedoch nicht zum Ausschluss, sondern nur zu einer Kürzung des deutschen Kindergelds um die Höhe des Betrags der in dem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung führen – so der EuGH in einem Fall, bei dem der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet und Deutschland nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a VO Nr. 1408/71 der unzuständige Mitgliedstaat war. In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen des BFH festgestellt, dass die in Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 vorgesehene Fiktion auch dazu führen könne, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist. Der BFH hat in seiner weiteren Rspr. die EuGH-Entscheidung umgesetzt: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 987/2009, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO (EG) Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten – insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt – unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort leben, kann dazu führen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62ff. EStG nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht.. Damit wird – infolge der Fiktion – unterstellt, auch der eigentlich im EU-Ausland lebende Elternteil würde im Inland wohnen und dem deutschen Kindergeldrecht unterfallen. Die Kindergeldberechtigung richtet sich dann danach, wer von beiden Elternteilen der vorrangig Berechtigte nach § 64 EStG ist (§ 62 EStG Rz. 27ff.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der im EU-Ausland lebende Elternteil einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat, da bei ihm nach Art. 60 Abs. 1 S. 3 VO (EG) Nr. 987/2009 der Antrag des in Deutschland lebenden Elternteils zu berücksichtigen ist. Im Ausland bezogene Familienleistungen sind auf den Kindergeldanspruch anzurechnen.
Lt. EuGH ist Art. 76 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 dahingehend auszulegen, dass dem Beschäftigungsmitgliedstaat erlaubt ist, in seinen Rechtsvorschriften ein Ruhen des Anspruchs auf Familienleistungen vorzusehen, wenn im Wohnmitgliedstaat kein Antrag auf Gewährung von Familienleistungen gestellt worden ist. § 65 EStG in unionsrechtskonformer Auslegung erfüllt die Voraussetzungen für die in Art. 76 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1408/71 vorgesehene Ermächtigung.
Die Konkurrenz zwischen dem ausl. und dem deutschen Anspruch wurde bis zum 30.4.2010 durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a VO (EWG) Nr. 574/72 aufgelöst; ab Mai 2010 gelten die Antikumulierungsvorschriften der VO (EG) Nr. 883/2004.
Rz. 3b
Bei der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen hat die Familienkasse von Amts wegen und nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob ein Ausschlusstatbestand gem. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 EStG vorliegt. Lässt sich dies nicht zweifelsfrei ermitteln, darf sich dies nicht zum Nachteil des Berechtigten auswirken. Dabei ist der Antragsteller – so der BFH – nicht dazu verpflichtet, das ausl. Recht darzulegen. Ihn trifft bei Auslandsachverhalten allerdings eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO, wobei von dem Stpfl. nicht erwartet werden kann, aus Gründen der Beweisvorsorge stets im Ausland einen Antrag auf Familienleistungen zu stellen. Damit hat der BFH die objektive Beweislast (Feststellungslast) auf die Familienkasse bzw. das FG abgewälzt. Beide müssen in eigener Zuständigkeit z. B. prüfen, ob eine ausl. Kind bezogene Leistung funktionsgleich mit dem inländischen Kindergeld ist.
Rz. 4
Hat die für die kindergeldähnliche Leistung i. S. v. § 65 Abs. 1 S. 1 EStG zuständige inländische Stelle eine Entscheidung über das B...