Rz. 106
Die Beschränkung, Veräußerungsgewinne auf Wirtschaftsgüter einer inländischen Betriebsstätte zu übertragen, ist ein Verstoß gegen die durch Art. 49 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit. Der Gesetzgeber hat darauf mit dem Abs. 2a reagiert, der sich an § 36 Abs. 5 EStG orientiert. Die Beschränkung in § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG auf Inlandsfälle bleibt damit zwar bestehen, aber die Neuregelung eröffnet mit § 6b Abs. 2a EStG ein Wahlrecht: Bei Reinvestitionen in bestimmte Wirtschaftsgüter, die zum Betriebsvermögen einer EU- oder EWR-Betriebsstätte gehören, kann die wegen einer vorangegangenen Veräußerung von Betriebsvermögen angefallene Steuer auf 5 Jahre verteilt werden. § 6b Abs. 2a EStG gewährt damit eine weitere Möglichkeit der Versteuerung eines Veräußerungsgewinns, die der Stpfl. beantragen kann, wenn eine Investition im EU/EWR-Raum beabsichtigt ist. Systematisch führt diese im Steuererhebungsverfahren angesiedelte Vorschrift zu einer Stundung der ESt (nicht der GewSt), auf die unter den Voraussetzungen des § 6b Abs. 2a EStG ein Rechtsanspruch besteht. Wird wegen einer Verlustverrechnung keine Steuer festgesetzt, kommt die Vorschrift nicht zum Tragen. Die Investition muss nur möglich sein; es wird weder ein bereits vorhandenes Betriebsvermögen in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedsstaat noch eine Reinvestitionsabsicht gefordert. Unter "Zuordnung" ist in diesem Zusammenhang wie auch bei § 36 Abs. 5 S. 1 EStG eine "tatsächlich-funktionale" Zuordnung zu verstehen. Die Ausübung des Wahlrechts muss nicht gem. § 5 Abs. 1 S. 2 und 3 EStG dokumentiert werden, weil sie nicht zu einer vom Handelsrecht abweichenden Bilanzierung führt.
Das Wahlrecht nach § 6b Abs. 2a EStG kann nicht neben den Wahlrechten nach § 6b Abs. 1 und 3 EStG ausgeübt werden, da deren Voraussetzungen nicht nebeneinander vorliegen können. Möglich ist es aber, die Steuerstundung nach § 6b Abs. 2a EStG mit dem Abzug nach § 6b Abs. 1 EStG oder der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG zu kombinieren.
Nicht begünstigt sind durch die Regelung in § 6b Abs. 2a EStG Anteile einer Kapitalgesellschaft (§ 6b Abs. 10 EStG), da sich § 6b Abs. 2a EStG nur auf die in § 6b Abs. 1 S. 1 und 2 EStG genannten Wirtschaftsgüter bezieht. Ein sachlicher Grund für diese Beschränkung ist nicht erkennbar. Da auch insoweit ein Verstoß gegen Art. 49 AEUV vorliegt, ist wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts der Anwendungsbereich des § 6b Abs. 2a EStG auch auf die in § 6b Abs. 10 EStG genannten Wirtschaftsgüter auszudehnen.
Rz. 106a
§ 6b Abs. 2a S. 3 EStG verweist auf die sinngemäße Anwendung des § 36 Abs. 5 S. 2 bis 5 EStG. Gem. § 36 Abs. 5 S. 2 EStG ist deshalb die erste Jahresrate innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des ESt- oder KSt-Bescheids zu entrichten. Jeweils am 31. Mai der Folgejahre werden die übrigen Raten fällig. Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen (§ 36 Abs. 5 S. 3 EStG). Wird der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in S. 1 genannten Staaten verlegt, wird die noch nicht entrichtete Steuer innerhalb eines Monats nach diesem Zeitpunkt fällig (§ 36 Abs. 5 S. 4 EStG). Ändert sich der Veräußerungsgewinn (und damit die festgesetzte Steuer), sind die Jahresraten anzupassen (§ 36 Abs. 5 S. 5 EStG).
Rz. 106b
Der Stundungsantrag muss im Wirtschaftsjahr der Veräußerung der in § 6b Abs. 1 S. 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter gestellt werden, um eine Gleichbehandlung mit Inlandsfällen herzustellen. Denn auch dort muss der Stpfl. bereits im Wirtschaftsjahr der Veräußerung entscheiden, ob er den Veräußerungsgewinn auf das Ersatz-Wirtschaftsgut übertragen oder eine Rücklage bilden möchte. Der Antrag kann aber zusammen mit der Steuererklärung für das Veräußerungsjahr gestellt werden.
Um eine unionsrechtskonforme Handhabung zu gewährleisten, kann bei Altfällen der Antrag nach § 6b Abs. 2a EStG nachträglich (für das betreffende Wirtschaftsjahr) beim FA gestellt werden, solange die materielle Bestandskraft des betroffenen Steuerbescheids noch nicht eingetreten ist.
Rz. 106c
Die auch von der Finanzverwaltung akzeptierte Antragstellung ohne Reinvestionsabsicht hat den Gesetzgeber veranlasst, § 6b Abs. 2a EStG um die Sätze 4–6 zu ergänzen.
Danach sind "für die Dauer des durch die Ratenzahlung gewährten Zahlungsaufschubs" Stundungszinsen nach § 234 AO zu erheben (§ 6b Abs. 2a S. 4 EStG). Wird der beantragte Umfang nicht voll ausgeschöpft, gilt dies nach § 6b Abs. 2a S. 5 EStG nur für den Unterschiedsbetrag. Dabei ist nach § 6b Abs. 2a S. 6 EStG davon auszugehen, dass der Unterschiedsbetrag anteilig auf alle Jahresraten entfällt. Abweichend von seinem Wortlaut ist § 6b Abs. 2a S. 5 EStG so zu verstehen, dass nur die auf den Unterschiedsbetrag entfallende Steuer zu verzinsen ist. Die rückwirkende Regelung der Verzinsungspflicht während laufender Frist ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Gem. § 238 Abs. 1 AO fallen Zinsen i. H. v. 0,5 % für jeden vollen Monat an.
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